Madrapour - Merle, R: Madrapour
und eine Stewardess, das sind doch zwei verschiedene Dinge.«
»Sie haben recht«, sagt die Stewardess.
»Wer hat Sie angerufen?«
»Ein Direktor.«
»Wie heißt er?«
»Er hat seinen Namen genannt, aber ich habe ihn nicht verstanden. Die Verbindung war sehr schlecht.«
»Haben Sie sich den Namen nicht wiederholen lassen?«
»Ich kam nicht dazu. Er gab mir seine Anweisungen und legte auf.«
»Und wie lauteten diese Anweisungen?«
»Ich sagte es Ihnen schon: um 18 Uhr in Roissy zu sein …«
»Und weiter?«
»Fünf Minuten vor Abflug an Bord zu gehen.«
»Ist es normal, daß eine Stewardess so spät an Bord geht?«
»Nein. Gewöhnlich sind wir eine gute Stunde vor den Passagieren da, um alles vorzubereiten.«
»Hat man Sie angewiesen, nicht ins Cockpit zu gehen?«
»Nein.«
»Warum haben Sie es dann nicht getan?«
Die Stewardess ist ruhig und doch voll innerer Spannung, sie hält die Hände über den Knien gefaltet, scheint aber bisweilen nach Atem zu ringen. Obwohl sie einleuchtende Antworten zu geben weiß, scheint ihr nicht sehr behaglich zumute zu sein. Vielleicht ist das auf den aggressiven, mißtrauischen Ton Blavatskis zurückzuführen. Denn es ist eine Binsenwahrheit: wenn man die Menschen wie Schuldige behandelt, fühlen sie sich im Handumdrehen schuldig.
Die Stewardess sagt tonlos, so als erwartete sie nicht mehr, ihren Gesprächspartner überzeugen zu können: »Ich glaube nicht, daß eine Stewardess befugt ist, das Cockpit zu betreten, wenn sie nicht gerufen wird. Schon gar nicht, wenn sie den Bordkommandanten nicht kennt.«
»Und die Bordinformation?« fragt Blavatski grob. »Wer hat Ihnen die Bordinformation gegeben?«
»Niemand. Ich habe sie in der Pantry gefunden.«
»Was verstehen Sie unter Pantry?« fragt Caramans.
»Die Bordküche«, sage ich. »Die französischen Stewardessen benutzen das englische Wort.«
»Aha«, sagt Caramans und zieht seinen Flunsch.
»Aber diese Bordinformation war unvollständig, haben Sie das nicht gemerkt?« fährt Blavatski fort, ärgerlich über die Unterbrechung.
»Doch.«
»Und haben Sie nicht erwogen, den Bordkommandanten zu bitten, die Information zu vervollständigen?«
»Ich habe das nicht eigenmächtig tun wollen«, erwidert die Stewardess müde. »Es hätte so ausgesehen, als ob ich ihn kritisierte.«
In das folgende Schweigen hinein fängt Robbie an zu lachen. Alle Augen richten sich auf ihn.
»Entschuldigen Sie, Mr. Blavatski«, sagt er, »aber das alles ist so absurd, so amerikanisch.«
»So amerikanisch?« Blavatski runzelt die Brauen.
»Nehmen Sie es mir bitte nicht übel«, sagt Robbie mit einem kleinen spöttischen Schimmer in den Augen, »aber Sie stecken bis zum Hals in amerikanischen Klischees und merken es nicht einmal!«
»Was soll daran amerikanisch sein?« fragt Blavatski barsch.
»Alles«, sagt Robbie erheitert. »Die Ermittlung! Die
crossexamination
, die
detective story
! Es fehlt nichts! Und sehen Sie, das ist einfach … komisch!« fährt er lachend fort. »Damit hat das alles nichts zu tun! Sie sehen diese Geschichte aus einem völlig falschen Blickwinkel! Nächstens werden Sie uns erzählen, daß der Inder ein Gangster war!«
»Was war er denn?«
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls kein Gangster.«
»Er hat uns aber doch ausgeraubt!« sagt Chrestopoulos entrüstet.
»Aus Jux, oder weil er uns eine Lehre erteilen wollte. Vielleicht beides.«
»Aus Jux!« schreit Chrestopoulos, und diesmal hat er die
viudas
auf seiner Seite. »Vielleicht war es für Sie ein Jux!«
Robbie lacht nur wieder, sagt aber nichts. Ich nutze die Gelegenheit und wende mich an Blavatski.
»Auch ich finde das Polizeiverhör, dem Sie die Stewardessunterwerfen, völlig fehl am Platze. Sie scheinen die Stewardess für verdächtig, wenn nicht gar für schuldig zu halten.«
»Aber keineswegs!« ruft Blavatski aus.
»Ein wenig doch«, sagt Caramans, Mäßigung vortäuschend. »Ich würde nicht gleich von einem Polizeiverhör sprechen, aber Ihr inquisitorischer Ton ist nicht sehr angenehm.«
»Die Herren verteidigen die Stewardess bewundernswert«, sagt Mrs. Banister scharf, weniger um Blavatski zu Hilfe zu kommen, als um Manzoni zu warnen.
Tatsächlich richtet der Italiener seit Beginn des Verhörs seine Augen mit solcher Beharrlichkeit auf die Stewardess, daß nicht nur Mrs. Banister irritiert ist.
Vorübergehend tritt Schweigen ein. Blavatski gibt sich einen Ruck.
»Ob es Ihnen gefällt oder nicht«, sagt er schonungslos, »ich werde
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