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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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welchen die Felle verstaut waren, nicht fahren konnten, würden sie nicht in den Süden marschieren.
    Die große Weißdornhecke auf der Südwestseite der Hügelkuppe, auf der König Lausbarts Heerlager lag, verblühte langsam. Es war jene Hecke, durch die Allwiss und die beiden Baumnymphen das Diesseits betreten hatten, als Allwiss auf Brus Befehl des Königs Seele vor das Mitternachtsgericht lud. Genau unter der Hecke aber lag eine weitverzweigte Tropfsteinhöhle, eine jener Zonen, in der sich Menschen- und Anderswelt, ohne daß sie eine Kristallwand voneinander trennt, direkt berührten.
    In dieser Höhle, die ihr auch als Sommerresidenz diente, hatte nun Bru jene neun Frauen versammelt, die Geschworenen des Mitternachtsgerichts. Sie hatten auf Stühlen mit hoher Lehne Platz genommen, die aus dem Holz der verschiedenen Baumklane geschnitzt worden waren. Die Frauen saßen sehr gerade und aufrecht da, hatten die Augen geschlossen und atmeten Schwefeldämpfe ein, die aus großer Tiefe durch Spalten heraufdrangen. Es hieß, daß sie so nach geraumer Zeit in einen merkwürdig konzentrierten Zustand zwischen Schlafen und Wachen verfielen, bei dem sie ihre Gedanken zwischen der Menschen- und Anderswelt hin- und herlaufen lassen konnten, um das Schicksal beider Welten in ihrem Sinn zu beeinflussen.
    Der Wachtposten war in den letzten Stunden mehrmals an diese Hecke vorbeigekommen, ohne daß ihm dabei etwas Besondere aufgefallen wäre. Zunächst hatte die Hecke in Nachtdunst eingehüllt gelegen. Später waren ihre Konturen schärfer hervorgetreten. Als er wieder vorbeikam, hatten die ersten Vögel in der Heck angefangen, noch zögernd zu zwitschern. Nun ging er abermals an der Hecke vorüber und meinte, seinen Augen nicht zu trauen Aus der Hecke wuchs, so daß man das Wachstum regelrecht wahr nehmen konnte, ein ganzes Bündel dicker Baumstämme hervor, Sie trugen eine ausladende Krone aus dichtem grünen Blattwerk, und zwischen den Blättern schaute düster-dräuend, vielleicht auch verächtlich, auf jeden Fall aber erschreckend und rätselhaft schon durch sein ungewöhnliches Aussehen, das Gesicht eine Riesen zu ihm herüber.
    Die Krone des Baumes schien den Himmel zu berühren. Das Blattwerk umstand das Gesicht des Mannes wie wirres Haar, das über, lange Zeit hin, ungestört und ungeschnitten, hat wachsen können. Nun, als der Wachtposten verwirrt, ängstlich, aber auch neu-' gierig, weiter hinsah, erkannte, er, daß aus dem Dickicht von Blatthaaren kleinere Äste hervorragten, kahl, unheimlich, wie Klauen. Der Posten bekam seine Schuhsohlen nicht von der Stelle, an der er stand, seit er den Baumriesen zum ersten Mal wahrgenommen hatte. Er versuchte weiterzugehen und hoffte, die Erscheinung würde verschwinden. Das Merkwürdige war, daß sie, trotz ihrer Bedrohlichkeit, auch eine gewisse Schönheit besaß. Wenn nur diese Augen nicht gewesen wären! Dieser Blick, der ihm wie Garben eines grünen Feuers vorkam, war schwer zu ertragen und ließ das Blut in seinen Adern erstarren. Kälte lähmte ihn an Armen und Beinen. Er wollte schreien. Der Schrei blieb wie ein Bissen im Halse stecken und drückte ihm die Luft ab.
    Er wollte laufen und Meldung machen. Da hörte er knisternd und raschelnd die Äste heranwuchern. Sie packten den Mann bei den Schultern, wirbelten ihn herum, warfen ihn zu Boden. Er lag auf dem Rücken. Die wild sprießenden Zweige krallten sich um seine Oberarme. Er lag auf dem Boden wie festgenagelt. Der Baumriese drüben hatte sich nicht bewegt. Nur, daß sein Blick den Wachtposten wieder voll traf. Ein mürrisch-verächtlicher Blick, der zu sagen schien: du weißt wofür.
    Aus den Zweigen, die ihn zu Boden gepreßt hielten, wurden immer stärkere und sich weiter verzweigende Asthände, die ihrerseits kleines Gezweig austrieben. Die Zweige tasteten sich zu seinem Hals vor. Dürre Finger einer Hand, aus der wiederum Hunderte von kleineren Fingern wuchsen. Die Finger drückten gegen seinen Hals. Sie bohrten sich in die Haut. Dann stach grelles Licht, das die Farbe von jungen Lindenblättern hatte, in seine Augen und blendete ihn. So starb er.
    Das hervorgewachsene Baumgesicht blickte auf das Lager. Madru, der, in einen Baumriesen verwandelt, da träumte, war selbst eher erschrocken über das, was sich kraft seiner Vorstellungen und der Traumströme, die Bru und die Baumnymphe aus der Höhle heraufsandten, nun vollzog.
    Aus dem Norden rückten auf seinen Befehl die Kampfreihen der Eichenhenker heran. Sie

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