Madru
nicht alle Tage, daß man eine Frau so sterben sah. Und nun gar des Fürsten jüngste Tochter. Er hörte sie sagen: »Eine Hexe ist sie und muß brennen«. Sie hatten so gierige und mordlustige Augen. Leute, die harmlos aussahen. Leute, unter deren Dach er schon getanzt, gegessen und getrunken hatte. Leute, deren Gastfreundlichkeit und Fröhlichkeit beim Fest der Wintersonne er bewundert hatte. Jetzt hätte er am liebsten mit ihnen Streit angefangen. Als die Leute die Wölfe sahen, die an seiner Seite trabten, flüchteten sie schreiend, obwohl die Tiere ganz ruhig liefen und niemanden anfielen.
Sie erreichten die Wiese. Ein Holzstoß war aufgetürmt. Oben stand Alissa, gefesselt, im Büßerhemd, mit aufgelöstem Haar. Madru unterdrückte einen wütenden Schrei. Der Erzdruide wandte ihm und dem Wolfsrudel den Rücken zu, als sie herankamen. Guh verlas ein Urteil: »Wegen Zauberei und Blasphemie . ..!« Immer mehr Leute drehten sich nach den Wölfen um, musterten sie ängstlich und unsicher, wie sie sich verhalten sollten. »Und so be-fehle ich Euch, Henker, sie den Flammen zu überantworten.«
Auf dem Kopf trugen die Henker schwarze Kapuzen. Sie traten an ein Becken mit glühenden Kohlen, um ihre Fackeln zu entzünden. In diesem Augenblick ließ eines der Tiere einen jaulenden Laut hören. Guh fuhr herum. Eine Kette von Wölfen sah ihn an.
Madru hob langsam den schwarzen Stab. Guhs wütendem Blick hielt er stand. Er sah, wie sich in den Augen des Erzdruiden Furcht ausbreitete. Jeder erwartete, die Wölfe würden sich auf ihn stürzen, würden beißend in die Menge fahren. Nichts dergleichen geschah. Es wurde sehr still auf dem Platz. Nur das Hecheln der Tiere und das Knattern der Flammen war zu hören. Die Henker wagten nicht, Feuer zu legen.
»Voran!« brüllte Guh.
Die Henker standen zitternd. Madru schaute gespannt auf die Tiere. Sie bibberten und hechelten, aber sie rührten sich nicht von der Stelle.
»Fort mit euch!« rief der Erzdruide, auch er hielt seinen schwarzen Stab jetzt in der Hand. Er versuchte, die Tiere mit beschwörenden Armbewegungen fortzujagen.
»Besser Ihr geht, Guh«, sagte Madru ruhig, »Euer Spiel ist aus.« »Wir werden sehen«, sagte der Erzdruide mit einem tückischen Lächeln. »Kommt«, sagte er zu den Henkern, »wir weichen der Gewalt. «
Madru reckte die Hand mit dem schwarzen Stab höher. »Ich frage euch, Leute, wer übt hier ungerecht Gewalt aus?«
Man hörte erste Stimmen, die forderten, man solle den Erzdruiden statt des Mädchens auf den Scheiterhaufen schicken. Der Erzdruide begann zu rennen. Die beiden Henker rannten hinter-drein.
»Ein paar Bisse in die Waden, das wäre ein Spaß«, hörte Madru einen der Wölfe sagen.
»Verderbt jetzt nicht alles. Wer hätte gedacht, daß es so ausgehen würde?«
»Wir!« sagte der Anführer des Rudels selbstbewußt.
Die Leute warfen staunende Blicke auf die Wölfe. Sie schickten sich an, Steine aufzuheben und Guh nachzurennen.
»Halt! Hiergeblieben!« rief Madru. »Bindet das Mädchen los. Den da ...«, er wies auf den flüchtenden Guh, der sich beim Rennen umsah, »laßt laufen. Oder wollt ihr euch von den wilden Tieren beschämen lassen?«
Daß sie die Rolle der Retter übernehmen konnten, ließ die Zuschauer ihre Lust auf ein Opfer vergessen. Sie kamen mit Alissa zu ihm zurück. Madru sah Alissa an, die sich eine Haarsträhne aus der Stirn strich.
»Ich war sicher, daß ihr kommen würdet«, sagte sie und hängte sich bei Madru ein. So gingen sie ein Stück langsam unter den Wölfen. Dann, als sich ihre Erregung etwas gelegt hatte, blieben sie stehen.
»Danke den Wölfen«, sagte Madru.
Alissa kauerte sich hin, streichelte jedes Tier, nannte es bei seinem Namen, redete leise auf die Tiere ein. Die Leute, die Alissa eben noch hatten brennen sehen wollen, drängten sich heran. Jetzt wollten sie sich überzeugen, daß sie mit den Tieren sprechen, deren Sprache verstehen könne. Alissa redete leise mit den Wölfen, sprach beschwichtigend, zärtlich. Es wurde später viel gemutmaßt, was sie ihnen erzählt habe. Sicher ist soviel, daß die Tiere kurz darauf hintereinander ruhig auf den Waldrand zuliefen. Erst dort begannen sie schneller zu rennen und zu heulen, und später erzählte Alissa Madru, der Anführer habe gesagt: »Es ist anstrengend, zahm zu sein.«
Madru versorgte Schlitten und Hunde. Dann ging er in seine Zelle im Haus der Lehren und legte sich schlafen.
Als er am Morgen ins Fürstengehöft kam, hörte er, daß
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