Maechtig, mutig und genial
und der Glaube sehr eng mit sozialer Beteiligung sowie mit gesellschaftlicher Veränderung verknüpft seien.
Eigentlich wollte sie Medizin studieren, doch nach einigen Monaten vertagte sie das Studium erst einmal. Ihre Mitarbeit in kirchlichen Einrichtungen führte dazu, dass man sie bereits mit 24 Jahren mit einem öffentlichen Amt betraute: Sie wurde zur Erziehungs- und Kulturbeauftragten der Stadt Campina Grande ernannt. 1966 schloss sie dann in der Hauptstadt von Paraíba, João Pessoa, doch noch ein Studium ab, allerdings hatte sie sich nicht für Medizin, sondern für Sozialarbeit entschieden. In São Paulo machte sie dann noch einen Master in Sozialwissenschaften, kehrte danach nach João Pessoa zurück und unterrichtete an der Universität. Damals gehörte sie den verbotenen
ligas camponesas
(dt.: Bauernligen) an, die die Landbevölkerung organisierten und sich gegen die Militärdiktatur (1964–1985) wehrten. Sie war eine der wenigen Frauen, die in den
ligas
mitarbeiteten.
1971, auf dem Höhepunkt der Militärdiktatur, zog sie dann endgültig nach São Paulo, wo sie ebenfalls Sozialarbeit unterrichtete und einen Posten als Sozialarbeiterin bei der Stadtverwaltung annahm. Sie arbeitete in den
favelas
, den Vierteln der Armen, vor allem mit Migranten aus ihrer Heimat. Viele Menschen aus dem Nordosten fliehen bis heute aus dem
Sertão
, denn die immer wiederkehrenden Dürrenperioden dieses Trockenwaldgebietes zerstören regelmäßig die Ernten auf den Feldern Die Migranten hoffen auf eine Arbeit in São Paulo. Erundina unterrichtete und organisierte die Menschen in den
favelas
– oft in Zusammenarbeit mit den katholischen Basisgemeinden –, damit sie gemeinsam mehr erreichen. »Ich fühle mich als Erzieherin«, sagt sie von sich selbst, und Gewerkschaftsarbeit und Politik hat sie immer als ein Instrument zur Erziehung und Organisation der Bevölkerung verstanden.
Schon früh hat sie Diskriminierung und Vorurteile kennengelernt: weil sie aus einer armen Familie kam, aus dem kaum entwickelten Nordosten des Landes stammte, eine Frau war und obendrein noch unverheiratet und Sozialistin. Heute, so sagt sie, kommt noch die Altersdiskriminierung hinzu. Doch sie resignierte nie, sondern kämpfte gegen Vorurteile und Ungerechtigkeit.
Luta
, Kampf, war denn auch immer das wichtigste Wort für sie. Eine gerechte, brüderliche und egalitäre Gesellschaft ist ihr großer Traum.
Geheiratet hat sie nie, weil sie gesellschaftlich aktiv sein wollte. Und besonders attraktiv fand sie die Ehe auch nicht: »Alle meine Cousinen haben sehr jung geheiratet, wurden Hausfrauen, bedienten ihren Mann und bekamen viele Kinder. Diese Kultur ist sehr machistisch. Ich hatte andere Vorstellungen. Immer, wenn ich rein hypothetisch an die Ehe dachte, fühlte ich mich eingeengt, sie war nicht vereinbar mit meinem Leben.«
Im Übrigen glaubt sie, dass die Gesellschaft mit den Männern um vieles toleranter umgeht als mit den Frauen. Die Frauen seien zur Ehefrau und Mutter erzogen worden, und das reproduzierten viele von ihnen immer noch in der eigenen Familie, aber auch als Lehrerinnen, bedauert Erundina.
1979 wurde sie zur Vorsitzenden der Vereinigung der Sozialarbeiter von São Paulo gewählt, und der Metallgewerkschafter und spätere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003–2010) lud sie ein, sich an der Gründung der
Partido dos Trabalhadores
(PT, dt.: Arbeiterpartei) zu beteiligen. 1982 wurde sie für die PT in den Stadtrat von São Paulo gewählt, und 1985 kandidierte sie als Vizebürgermeisterin, verlor aber die Wahl. Ein Jahr später zog sie als Abgeordnete in das Regionalparlament des Bundesstaates São Paulo ein.
Am 16. November 1988 schlug sie dann allen Voraussagen zum Trotz die beiden bekannten Politiker Paulo Maluf und José Serra und wurde für vier Jahre die erste Bürgermeisterin von São Paulo, damals die viertgrößte Stadt der Welt.
In Erundinas Amtszeit wurden vor allem Gesundheitsversorgung und Erziehung in den
favelas
verbessert. Letztere übertrug sie dem berühmten Pädagogen Paulo Freire, der vor allem auf die Alphabetisierung setzte. Auch Ausbildung und Gehalt der bei der Stadt angestellten Lehrer wurden verbessert. Unter Erundinas Ägide wurde in einem städtischen Krankenhaus erstmals eine Station eingerichtet, die gesetzlich erlaubte Abtreibungen vornahm, wenn Gefahr für das Leben der Mutter bestand. Auch dem Wohnungsmangel nahm sie sich an und initiierte Programme zum gemeinschaftlichen Hausbau in
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