Maechtig, mutig und genial
übertrat, musste nicht Strafe zahlen, sondern an einer Verkehrserziehung teilnehmen. Straßenkindern verbot sie das Betteln. Sie war obendrein stolz darauf, die Verwaltung in den Dienst der Bürger gestellt und für Transparenz bezüglich des Verbleibs der Gemeindeeinnahmen gesorgt zu haben. Kritiker wandten ein, in einer so reichen Gemeinde wie Chacao, die im Vergleich zu anderen Bezirken des Großraumes Caracas obendrein dünnbesiedelt ist, habe sie leichtes Spiel mit den Reformen gehabt. Die Bürger honorierten siejedenfalls: Sie wählten Sáez wieder, diesmal mit 96 Prozent der Stimmen. Chacao hieß fortan im Volksmund Irenelandia. 1996 übernahm sie für ein Jahr den Vorsitz des Bürgermeisterrates aller fünf Gemeinden des Großraums Caracas.
Medienvertreter aus aller Welt rissen sich um Interviews mit der inzwischen erblondeten Bürgermeisterin, die nicht nur aufgrund ihrer wallenden Haarpracht von Journalisten gern als Barbie-Puppe bezeichnet wurde. Vielmehr hatte sie sich selbst als Puppe reproduzieren lassen, nachdem die Barbie-Produktion in Venezuela eingestellt und nach Korea verlegt worden war – um Arbeitsplätze zu schaffen, erklärte sie damals.
Anfang 1998 entschloss sich Sáez, sie war gerade 37 Jahre alt, für das Präsidentenamt zu kandidieren und gründete eine eigene politische Gruppierung namens IRENE (
Integración, Renovación Nueva Esperanza
, dt.: Integration, Erneuerung Neue Hoffnung). Anfangs lag sie in den Meinungsumfragen mit 40 Prozent der Zustimmung weit vor ihren Kontrahenten Hugo Chávez und dem Konservativen Henrique Salas Römer. Ideologisch war sie kaum einzuordnen, und für manche Kritiker war sie nur eine Galionsfigur, die Gefahr läuft, dass sich mächtige Interessengruppen ihrer bemächtigen. Aber bei den Bürgern galt sie als ehrlich, verantwortungsbewusst und effizient. Im Laufe der Wahlkampagne beging sie den Fehler, ihre Unabhängigkeit aufzugeben und sich mit den beiden wegen Korruption und jahrzehntelanger Misswirtschaft diskreditierten traditionellen Parteien, der christdemokratischen COPEI
(Comité de Organización Política Electoral Independiente)
und der sozialdemokratischen
Acción Democrática
zu verbünden. Ihre Zustimmungswerte sanken rapide und bei den Wahlen am 6. Dezember erhielt sie nur noch drei Prozent der Stimmen.
Eine US-amerikanische Studie kam zu dem Schluss, dass die Berichterstattung der Medien über Sáez zu ihrem rasanten Abstieg in der Wählerzustimmung beigetragen hatte. Während über ihre beiden männlichen Gegenkandidaten überwiegend themenbezogen berichtet wurde, konzentrierte sich die Pressein ihrem Fall mehr auf Äußerlichkeiten wie ihre Frisur oder führte sie als sich ständig umziehende Modepuppe vor. Und einer solchen trauen die Wähler dann doch nicht zu, ein Land zu führen. Ihr anfänglicher Erfolg in den Umfragen, so die Studie, sei auch darauf zurückzuführen gewesen, dass sie die erste Frau war, die sich in Venezuela für das Präsidentenamt aufstellen ließ. Dies habe zunächst die Neugier der Presse geweckt, die dann jedoch schnell verflogen sei.
Im Wahlkampf versprach Sáez vor allem eine Verbesserung des Erziehungssystems sowie eine Diversifizierung der Wirtschaft, die weitgehend vom Rohöl abhängt. Wenn sie gefragt wurde, wie sie ihre Pläne umsetzen wolle, antwortete sie, sie werde dafür die besten Köpfe des Landes in ihr Kabinett holen.
Im Jahr darauf verbündete sie sich mit dem neuen Präsidenten Hugo Chávez und kandidierte im März 1999 mit Unterstützung von dessen Parteienkoalition
Polo Patriótico
(dt.: Patriotischer Pol) bei den nach dem Tod des Amtsinhabers vorzeitig notwendigen Gouverneurswahlen im Bundesstaat Nueva Esparta, zu dem die Ferieninsel Margarita sowie die beiden kleineren Inseln Coche und Cubagua gehören. Zwar hielten ihr ihre Kritiker entgegen, dass sie nicht aus Nueva Esparta stamme und nie dort gewohnt habe, doch die große Mehrheit der Wähler störte dies nicht: Sáez wurde mit 70 Prozent der Stimmen zur Gouverneurin gewählt.
Ebenfalls im März 1999 hatte sie den venezolanischen Rechtsanwalt Humberto Briceño geehelicht, im Juni des darauffolgenden Jahres wurde der gemeinsame Sohn Eduardo José geboren. Die Ehe wurde 2002 wieder geschieden.
Das Gouverneursamt bekleidete sie nur elf Monate lang, denn nach Annahme der neuen venezolanischen Verfassung wurden am 30. Juli 2000 erneut Gouverneurswahlen notwendig, aber Sáez kandidierte nicht wieder. Als Grund gab sie ihre
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