Mädchen im Moor
bestimmt …«
»Das geht leider nicht. Wir haben Ihre Tochter ins Besuchszimmer gebeten … sie weigert sich. Ihre Antwort war ganz klar: Ich will meine Mutter nicht sehen! Ich will niemanden sehen!«
»Und sie war immer ein so geselliges Kind. Sie sehen daraus, wie zerstört ihre Psyche ist.« Helena v. Rothen ließ ihre Stimme zittern. Das Timbre wurde dunkler, glitt hinüber in Moll. »Wenn Sie es noch einmal versuchen, Herr Regierungsrat. Wenn Sie ihr sagen, wie schmerzvoll ihre Mama auf sie wartet …«
Dr. Schmidt sah aus dem Fenster. Im Hof brummte ein Wagen. Ein großes, schwarzes Auto war hereingefahren, ein Chauffeur sprang heraus, riß die hintere Tür auf. Ein großer, weißhaariger Herr stieg langsam aus, sah sich um, dehnte sich und sprach mit dem Chauffeur. Dr. Schmidt lächelte grausam, er konnte nicht anders.
»Das ist interessant«, sagte er und erhob sich, ging zum Fenster und zog die Gardine zur Seite. »Ein Familientreffen! Eben ist Ihr Gatte gekommen …«
»Wer?« Helena v. Rothen sprang entsetzt auf.
»Ihr Gatte –«
»Mein …« Helena raffte den Pelz vor der Brust zusammen, als könne er sie schützen. »Um Gottes willen.«
Regierungsrat Dr. Schmidt trat vom Fenster zurück. Helena v. Rothen war blaß geworden, nur am Hals zeigten sich rötliche, hektische Streifen. Sie war in einer maßlosen Aufregung und zupfte aus dem wertvollen Pelz ganze Haarbüschel .
»Darf Ihr Gatte Sie hier nicht sehen?« fragte Dr. Schmidt ruhig. Helena schüttelte wild den Kopf.
»Bitte, lassen Sie ihn aufhalten. Gibt es einen anderen Weg aus Ihrem Zimmer, auf dem ich ihm nicht begegnen kann?«
»Leider nicht, gnädige Frau.«
»Er ist mir nachgefahren!«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis.«
»Bitte, vermeiden Sie allen Skandal –«
»Das hier ist ein Amtszimmer!« Dr. Schmidt sah erwartungsvoll auf die Tür. Auf dem Flur hörte er die Stimme von Julie Spange und eine sonore Männerstimme. Er kannte Holger v. Rothen nur von einem einzigen Besuch hier, bei dem er seine Tochter Vivian nicht gesprochen hatte, sondern sich nur erkundigen wollte, wie sie sich in Wildmoor einfügte. In seiner Erinnerung war der Fabrikant v. Rothen ein bedächtiger, vornehmer Herr, der sehr unter dem Ausrutscher seiner Tochter litt und sich Vorwürfe wegen mangelnder Aufsicht machte, eine Tatsache, die Dr. Schmidt damals bejaht hatte.
Die Tür des Wartezimmers klappte, Julie Spange klopfte an die Tür.
»Ich weiß schon«, sagte Dr. Schmidt, als sie den Besuch melden wollte. »Ich lasse bitten –«
»Herr Regierungsrat –« Helena v. Rothen wich bis zum Fenster zurück. »Ich flehe Sie an, diese Begegnung zu verhindern …«
»Ich bin ein Mensch, der Klarheiten liebt.« Doktor Schmidt sagte es höflich, aber bestimmt. »Ihre Tochter Vivian weigert sich, Sie, ihre Mutter, zu sprechen … nun kommt auch noch der Vater, und mir scheint, daß hier außerhalb der Anstalt Dinge geschehen, die schon im Interesse Vivians zu klären sind.«
»Ich finde, das übersteigt Ihre Kompetenzen, Herr Regierungsrat!«
»Vielleicht … nein sicherlich …«
Dr. Schmidt wurde einer weiteren Auseinandersetzung enthoben. Holger v. Rothen kam ins Zimmer. Er warf einen kurzen Blick auf seine Frau, wandte sich dann ab und begrüßte Dr. Schmidt mit der Andeutung einer Verbeugung.
»v. Rothen –«
»Ich glaube, wir kennen uns.« Dr. Schmidt zeigte auf einen der Sessel, v. Rothen schüttelte den Kopf.
»Wenn ich stehen bleiben dürfte –«
»Aber bitte.«
»Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, wieder Ihre Strafanstalt zu betreten, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Vivian entlassen wird. Da ich aber erfuhr, daß meine geschiedene Frau …«
»Du hast mir nachspioniert …«, zischte Helena v. Rothen.
»Ich habe ein Büro beauftragt, das alle Dinge, die mit Vivian zusammenhängen, sofort an mich meldet. Also auch deine Reise hierher –«
»Da sehen Sie es, Herr Regierungsrat, da sehen Sie es. Er läßt mich beschatten!« rief Helena v. Rothen mit schriller, gut hochgeschraubter Stimme.
Holger v. Rothen achtete nicht auf die Anwürfe seiner Frau. Er zeigte eine bewundernswürdige Beherrschung und strich sich nur nervös über die weißen Haare. Es war die einzige Geste, die seine verborgene Erregung verriet.
»Hat meine Frau mit Vivian gesprochen?« fragte er leise.
Dr. Schmidt schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Dann bin ich früh genug gekommen.«
»Ich muß Sie in dieser Hinsicht enttäuschen. Ihre Gattin ist schon seit drei
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