Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
zeigte 00:06 an. Sie war seit mehr als einer Stunde unterwegs und hatte sich offenbar verfahren. Am Anfang war sie einfach nur geradeaus gefahren, und wäre sie dabei geblieben, wäre sie früher oder später bestimmt irgendwo hingekommen, wo es Hilfe gegeben hätte. Aber nein, ungeduldig geworden, hatte sie geglaubt, abbiegen zu müssen. Ein-, zweimal. Und nach einer Weile hatte sie nicht mehr gewusst, ob sie sich von der Hütte fort- oder wieder auf sie zubewegte. Ob sie zur nächsten Ortschaft fuhr oder sich von ihr entfernte. Die Berge hinauf- oder hinunterfuhr. Sie war unterwegs keinem einzigen anderen Wagen begegnet.
Dann hatte der Regen eingesetzt. Sie war irgendwo in den gottverlassenen Bergen Virginias unterwegs – es regnete, das Baby wollte raus, und sie hatte gerade einen Mann umgebracht. Vielleicht war das hier die Buße für ihre Sünden. Ihre ganz eigene, private Hölle. Der Himmel wusste, sie hatte ihre Strafe verdient.
Aber für ihr Baby galt das nicht. Dieser Gedanke trieb sie an. Wenigstens eine gute Nachricht gab es: Es war noch reichlich Benzin im Tank. Und der Schmerz, so unerträglich er auch war, wenn er sie überrollte, kam in Abständen, so dass ihr noch Zeit blieb, Hilfe zu holen.
Als die Reifen durchzudrehen drohten, umklammerte sie das Lenkrad fester und versuchte, die Kontrolle über den Van zu behalten. Der Wagen schlingerte, und sie merkte, dass sie nicht mehr auf dem groben Asphalt, sondern auf Kies fuhr. Die Straße war hier zu Ende, und das war nicht gut.
Schwer atmend hielt sie an. Es war mitten in der Nacht, und hier würde ganz sicher kein anderes Fahrzeug vorbeikommen. Sie musste wenden und versuchen, eine stärker befahrene Straße zu erreichen.
Sie legte den Rückwärtsgang ein und schlug das Lenkrad ein. Dabei hatte sie keine Vorstellung davon, wie breit der Weg war und wie viel Platz sie zum Wenden hatte. Sie öffnete die Fahrertür und blickte hinaus, aber jetzt schüttete es wie aus Kübeln, und sie konnte nichts erkennen.
Trotzdem musste sie den Versuch wagen. Sie gab ein wenig Gas, stellte aber fest, dass die Reifen auf dem nassen Kies durchdrehten, und blieb wieder stehen. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. O Gott, bitte. Sie versuchte es ein weiteres Mal, doch noch immer bekamen die Reifen keinen Halt. Sie nahm den Fuß vom Gas, suchte nach der Innenraumbeleuchtung und schaltete sie ein. Denk nach. Was hatte ihr Dad immer an den seltenen Tagen mit Schneefall getan, oder wenn sie einen steilen Hügel oder eine rutschige Straße hochfuhren? Sie legte wieder den Rückwärtsgang ein und gab sanft Gas. Der Wagen tat einen Satz nach hinten, woraufhin sie mit Wucht aufs Bremspedal trat.
Okay. Wenigstens steckte sie nicht fest. Das war doch ein winziger Schritt nach vorn. Jetzt nicht ungeduldig werden.
Sie biss die Zähne zusammen, als die nächste Wehe sie mit voller Wucht traf, und umklammerte das Lenkrad. »Nicht jetzt, nicht jetzt«, sagte sie zu dem Baby, und als hätte es ihr Flehen gehört, verging der Krampf. Sie stieß kräftig den Atem aus, dann widmete sie sich wieder ihrem Wendemanöver. Vor und zurück, vor und zurück, Zentimeter für Zentimeter. Sie schlug das Lenkrad ein und merkte, dass die Reifen allmählich griffen. Der Regen prasselte noch immer sintflutartig auf sie nieder, aber sie blieb hartnäckig, kurbelte das Lenkrad, fuhr stückchenweise vor und zurück, bis sie einmal zu viel Gas gab und die Hinterreifen wegrutschten.
Monika erstarrte. Sie wollte das Bremspedal stärker durchtreten, doch wurde sie in den Sitz zurückgedrückt, weil der Van allmählich nach hinten kippte. Es fiel ihr immer schwerer zu bremsen, und so überlegte sie, aus dem Wagen zu springen, doch sie war noch angeschnallt – dämliche Angewohnheit –, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als weiterhin zu bremsen, während sie das Lenkrad wieder umklammert hielt. Und dann, mit einem Mal, war der Sitz unter ihr tropfnass, und ein süßlicher Geruch stieg ihr in die Nase.
»Nein, nein, nein!«, schrie sie. Nicht jetzt! Monika drückte sich in den Sitz, der völlig von ihren Säften getränkt war, und begann zu beten, wiederholte jedes Wort der Gebete, die sie aus ihrer Kindheit kannte. Der Van bockte und kippte und bretterte mit einem Mal über Steine und Gebüsch hinweg, mähte dabei dünnere Bäume nieder, bis er gegen etwas Hartes stieß. Monikas Kopf wurde abrupt nach vorn und dann in den Nacken geschleudert, und das Letzte, woran sie sich erinnerte, bevor die
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