Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
und ging zu einem Aktenschrank in der gegenüberliegenden Ecke des Arbeitszimmers. Ein wenig Abstand war sicher angemessen.
»Ist dein Partner noch da?«
Er wollte mit Tifton sprechen? »Der ist gerade losgefahren.«
Mitch nickte, als hätte er es sich fast gedacht, dann hockte er sich auf eine Ecke des Schreibtischs. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass Rose McNamara Russell vom Haus ihrer Schwester aus angerufen hat?«
Natürlich, das hatte Janet ihm verraten. »Es steht nirgendwo etwas davon, dass man jedes Detail eines Falls mit einem Freund des Opfers besprechen soll.«
»Du meinst wohl einen Freund des Verdächtigen «, klagte er.
»Sanders ist kein Verdächtiger, es sei denn, er hat einen Komplizen, der seine Botschaften verteilt.«
»Und warum bist du dann noch hier?«
»Weil er noch immer unsere beste Spur zu Rosies Mörder ist.«
»Und wer ist die beste Spur für den Mord an Russell?«
Dani sah ihn an. »Sein Tod wurde zum Selbstmord erklärt. Das weißt du. Deswegen kann ich dir auch sagen, dass ich eine Big-Lots-Quittung in dem Zeug aus Sanders’ Papierkorb gefunden habe. Sie stammt von Sonntagnachmittag. Aus der Filiale, in der Rosie gearbeitet hat.«
»Grundgütiger.«
»Ich weiß, was du gleich sagen wirst, aber wäre es möglich, dass dein Freund Rosie geschwängert hat?«
Er wurde blass. »Sie war schwanger?«
»Nein. Aber die Gerichtsmedizinerin hat festgestellt, dass Rosie irgendwann im Laufe der letzten Jahre ein Baby bekommen hat. Wahrscheinlich, als sie noch auf den Strich ging.«
»Lieber Himmel, da ist sie doch selbst noch ein Kind gewesen! Was ist mit dem Baby geschehen?«
»Das wissen wir nicht. Also, hältst du es für möglich?«
»Soweit ich informiert bin, wusste Russell, wie man Babys macht.«
Sie blickte ihn düster an.
»Komm schon, Dani. Russ hat sich nie verziehen, dass er nicht für Brad da gewesen ist. Wenn er dieses Mädchen geschwängert haben sollte, dann hätte er sich dem Baby gegenüber wie ein Vater verhalten.«
Dani grunzte. »Klar doch.«
Er betrachtete sie von seiner Schreibtischecke aus wie ein Wissenschaftler eine neue Lebensform. »Wie fühlt sich das an, dieser Zwang zum ständigen Misstrauen?«
»Das ist mein Job. Ich ermittle in einem Mordfall.«
»Nun, das ist doch seltsam.« Mitch stand auf und durchquerte lässig – übertrieben lässig, um genau zu sein – den Raum. »Ich habe nämlich gerade mit Chief Dave Gibson gesprochen. Und der hat mir etwas anderes erzählt.«
Dani verstummte. Reingefallen.
»Was, kein Kommentar?«, fragte Mitch kühl. »Gibson sagt, du hättest dir ein paar Tage freigenommen. Und dass du nicht mehr an dem Fall arbeitest.«
Sie sah ihn an. »Mach schon. Verpetz mich.«
»Wie, indem ich einen Officer mime?«, witzelte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch er wirkte nicht amüsiert. »Natürlich ist es das, was du mir als Erstes zutraust.«
»Ich versuche bloß, Rosies Mörder zu finden«, erwiderte Dani und spürte, wie die Gefühle sie zu übermannen drohten. »Du hast sie nicht gesehen, verdammt, aber ich. Er hat sie getötet, als sie gerade ihr Leben in den Griff bekommen hatte. Da taucht dieser Scheißkerl auf und zerhackt ihr das Gesicht und ist dann in mein –«
Sie unterbrach sich, als sie merkte, dass ihre Wut in Angst umschlug und Mitch dies mitbekam. Nein. Wenn er wüsste, dass ihr Haus verwüstet war und ihre Hündin halb im Koma lag, dass ihr irgendein Dreckskerl auf den Fersen war, dann wäre es zwecklos, ihn auf Abstand halten zu wollen. Und sie stünden wieder dort, wo sie vor achtzehn Jahren aufgehört hatten: Sie brauchte ihn und konnte ihn dennoch nicht haben.
Ihn nicht haben? Sie stolperte über den Gedanken. Als sie siebzehn Jahre alt und von ihm hingerissen gewesen war, hatte es einen Grund gegeben, warum sie ihn – und jeden anderen auch – aus ihrem Leben ausgeschlossen hatte. Sie hatte ihren Bruder beschützen müssen. Aber was hatte sie jetzt für eine Ausrede?
Dani schüttelte den Gedanken ab. Achtzehn Jahre lösten sich nicht einfach in Luft auf, nur weil man jemanden wiedertraf, den man einmal geliebt hatte. Es gab jede Menge guter Gründe, warum sie sich nicht wieder Hals über Kopf in Mitch verlieben sollte. Allen voran die Tatsache, dass es höllisch weh tun würde, wenn er sie verließ.
»Ich hätte dich niemals verlassen«, sagte Mitch in diesem Augenblick, und Dani verschlug es fast die Sprache. Sie riskierte es und sah zu ihm auf. »Eine gebrochene
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