Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Nase hätte nicht gereicht, um mich von dir fernzuhalten.«
In jener Nacht war er zu ihrem Haus gekommen … Ihr besoffener Vater, der alle auf der Straße zusammenbrüllte und in Handschellen abgeführt wurde. Jason, der ängstlich schluchzte. Und Mitch, der einfach nur dastand und das Grauen ansehen konnte, obwohl sie ihm nicht verraten hatte, wo sie wohnte. Lass mich los, ich will dich nicht hier haben … Er hatte sie in die Arme nehmen und trösten wollen. Vor den verletzenden Worten ihres Vaters beschützen wollen. Doch sie hatte sich mit aller Kraft gegen ihn gewehrt, hatte sich aus seinem Griff befreit, wie sie es auch gern mit ihren Lügen getan hätte. Sie fürchtete, dass ihr Vater recht behalten konnte … Sie werden dir Jason wegnehmen … du wirst ihn nie wiedersehen … Mitch hatte sie nicht loslassen wollen, worauf sich Dani noch verzweifelter gegen ihn gewehrt und ihm mit dem Ellbogen die Nase gebrochen hatte. Er war zurückgetaumelt und hatte sich den Unterarm vor das blutüberströmte Gesicht gehalten. Doch war er erst gegangen, als sie ihm hasserfüllt entgegengeschleudert hatte: »Es gibt da jemanden, verdammt. Ich will dich nicht mehr …«
Lügen und noch mehr Lügen.
Jetzt zwang sich Dani, ihm zu antworten. »Ich weiß, dass du mich nicht verlassen hättest«, sagte sie. »Deswegen habe ich dich angelogen.«
Mitch schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, schien sich sein Blick direkt in ihre Seele zu bohren. »Dann gab es also doch keinen anderen. Warum? Du konntest unmöglich gedacht haben, dass ich dich nicht mehr wollte. Warum?«, fragte er.
»Ich war völlig verängstigt. Ich war ja fast noch ein Kind.« Sie schloss eine Schublade des Aktenschranks, und ihre Stimme bebte. »Meine Mum war seit Jahren tot, und mein Vater ein Alkoholiker, ein Spieler und ein Krimineller. Er war häufiger unterwegs als zu Hause. Und dafür dankten wir unserem Glücksstern. Solange ich mich damals erinnern konnte, hatte ich mit der Angst gelebt, jemand könnte herausfinden, dass es in diesem Haus keine Eltern mehr gab und man mir Jason wegnehmen würde. Dad hatte immer behauptet, dass genau das eintreffen würde.«
»Ich hätte nicht zugelassen, dass dir jemand weh tut.«
»Du warst erst achtzehn Jahre alt. Was hättest du tun sollen?«
»Nun, das kann ich dir nicht sagen, du hast mir ja nie die Chance gegeben«, schoss Mitch zurück.
»Mein Dad war verhaftet worden, und ich wusste nicht, ob er zurückkommen würde. Es waren nur noch ein paar Monate bis zu meinem achtzehnten Geburtstag, und die musste ich irgendwie überstehen.« Sie verstummte.
»Aber du warst dir sicher, ich würde losrennen und jedem dein Geheimnis verraten, dass du mir lieber deinen Ellbogen ins Gesicht gerammt und mir erzählt hast, du hättest einen Neuen. Soll heißen, lieber allein bleiben als verletzt zu werden, stimmt’s?«
»Er war mein Bruder. Er war alles, was ich hatte.«
»Nein«, erwiderte Mitch und packte sie an den Armen. »Du hattest mich.«
Seine Worte trafen sie wie eine Ohrfeige. Du hattest mich. Vielleicht. Aber für Dani war ihre Liebe zu Mitch eher besorgniserregend statt tröstend gewesen. Sie hatte stets dafür gesorgt, dass niemand von der Alkohol- und Spielsucht ihres Vaters erfuhr, und auch nichts von den Schlägen. Da konnte sie nicht einfach mit einem Freund davonspazieren und hoffen, Jason würde nichts geschehen. »Ich durfte nicht riskieren, dass man mir meinen kleinen Bruder wegnahm«, sagte sie. »Nur weil meine Teenager-Hormone in Wallung geraten waren.«
»So nennst du das?«, fragte Mitch, und Dani wurde sich der Hitze bewusst, die seine Hände an ihren Armen ausstrahlten. Er hielt sie nicht mehr fest, sondern streichelte sie. Dann legte er den Kopf schräg und strich ihr mit den Fingerknöcheln über die Wange. »Teenager-Hormone?«
Danis Kehle war wie ausgedörrt. »Was sonst?«
»Lass es uns testen.« Er beugte den Kopf und legte seine Lippen auf ihre, während sich seine Hände um ihr Gesicht schlossen, warm und kräftig und sanft zugleich. Dani schmolz dahin, und vor Wonne entschlüpfte ihr ein kleiner Lustseufzer. Sie spürte die Anspannung in seinen Armen und merkte, wie schwer es ihm fiel, sie weiterhin zärtlich zu küssen. Als er schließlich den Kopf hob, sagte er:
»Du bist kein Teenager mehr. Wie würdest du es nun bezeichnen?«
Dani wäre vielleicht einen Schritt zurückgetreten, aber seine Hände lagen weiterhin an ihren Wangen, und außerdem schien ihr
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