Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
das nächste Foto mit dem Baby an.
»Und sieht dieses Kind für dich so aus, als sei es ein halbes Jahr alt?«
»Nein, aber es ist ein Frühchen …«
»Oder ein Neugeborenes, das als Frühchen deklariert wurde.«
Danis Herz begann, schneller zu schlagen. »Meinst du?«
»Es widerstrebt mir, aber wie erklärst du dir sonst die Saphire?«
Dani wusste auch keine Antwort.
Während sie die Ausdrucke durchblätterte, spürte sie, wie ihr das Adrenalin ins Blut schoss.
Die Kinneys … Sie waren beide Ende dreißig, seit dreizehn Jahren verheiratet. Robert hatte nach seiner Promotion in Chemie eine Stelle an der Universität von Maryland angenommen und arbeitete jetzt in der Forschungsabteilung eines Pharmaunternehmens. Seine Frau Alana war Vorschullehrerin. Die Fotos ihres Hauses bewiesen, dass die finanzielle Situation der beiden stabil war. Sie lebten in einem großzügigen Eigenheim in einem Viertel voller großzügiger Eigenheime, die sich lediglich anhand der Farbe der Dachschindeln, der Form der Pflastersteine in der Zufahrt und der Wahl der Sträucher auf der obligatorischen Rasenfläche vor dem Haus unterschieden. Vor der Tür ihrer Dreifachgarage stand ein Mercedes.
Dani betrachtete erneut den Saphirring der Frau. »Das müssen die Eltern des Kindes sein, das Rosie fotografiert hat. Wie viele solcher Ringe kann es schon geben?«
»Das ist der letzte Junge, den Rosie fotografiert hat. Sie hatte die Fotos noch nicht einmal auf ihren Rechner gezogen.«
»Weil sie vorher getötet wurde.« Dani stand auf. Die Synapsen in ihrem Hirn arbeiteten auf Hochtouren. »Okay, lass uns die Sache durchgehen. Rosie McNamara hat im Frühjahr des Jahres zweitausendacht einen Jungen zur Welt gebracht und ihn auf dem Schwarzmarkt zur Adoption freigegeben.«
Mitch nahm den Faden auf. »Ungefähr zur gleichen Zeit haben die Kinneys über OCIN ein untergewichtiges Kind von sechs Monaten aus der Ukraine adoptiert.«
»Zwei Jahre später, nachdem Rosies Neffe geboren wird, denkt sie wieder häufiger an ihren Sohn und beschließt, ihn zu suchen. Also ruft sie Russ Sanders an und bittet ihn um Hilfe. Warum? Wei–« Dani hielt inne und sah Mitch an.
»Weil Russ wusste, wo sie ihr Kind finden würde«, beendete er den Satz. »Weil er den Jungen über OCIN vermittelt und so getan hatte, als stamme das Baby aus dem Ausland.«
Es brach Dani das Herz. Sie konnte förmlich hören, wie Russell Sanders von seinem Podest krachend zu Boden fiel.
Sie ging zu Mitch. »Vielleicht auch nicht«, sagte sie. »Es gibt schließlich noch andere Leute in der Stiftung, oder?«
Der Anflug eines Lächelns umspielte Mitchs Lippen, und Dani erkannte erst in diesem Augenblick, dass auch sie nicht das Schlimmste von Russ denken wollte. »Brad ist der wahrscheinlichste Kandidat«, sagte Mitch. »Er kümmert sich um die rechtlichen Angelegenheiten und konnte die Akten manipulieren. Die Sache ist nur: Wir wissen, dass er weder Rosie noch seinen Vater getötet hat. Mein Gott, Dani, es gibt einhundert Leute, die bezeugen können, dass er letzte Woche in Philadelphia war. Selbst wenn er hin- und zurückgefahren ist –«
»Ich weiß. Du hast recht.« Dani dachte an den Einbrecher. »Und ich glaube auch nicht, dass er derjenige war, den ich gejagt habe. Der Kerl war zwar ähnlich groß … aber ich habe bei Brad nicht das richtige Gefühl.«
Mitch klappte den Laptop zu. »Hast du noch etwas bei Rosie gefunden, nachdem ich gegangen war?«
Dani schüttelte den Kopf. »Es ist, als hätte sie nie ein Kind bekommen. Keine Arzttermine, keine Rezepte. Nichts, außer ein paar Spiel- und Kindersachen. Wenn wir es durch die Autopsie nicht besser wüssten, könnte man glatt annehmen, sie hätte nie ein Kind bekommen.«
»Sie war eine Prostituierte, arbeitete auf der Straße. Es kann nicht sein, dass niemand davon wusste. Was ist mit den anderen Mädchen, ihren Freiern, ihrem Zuhälter?«
Genau das dachte Dani auch. Ty.
Sie schloss verzweifelt die Augen. Ty Craig hatte ihr keinen Unsinn erzählt, er wusste etwas. Aber wenn sie dahinterkommen wollte, musste sie ihre Seele verkaufen. Und genau dessen verdächtigte Chief Gibson sie.
Sie schüttelte den Kopf. Nein. Es musste einen anderen Weg geben. Die Kinneys.
»Stehen die Kontaktdaten der Kinneys in der Akte?«
Mitch reichte ihr die betreffende Seite. »Während du dich mit ihnen unterhältst«, sagte er, »werde ich mit Robin Hutchins sprechen, der Vizedirektorin von OCIN. Ich möchte wissen, ob diese
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