Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Armaturenbrett. 19:20 Uhr. Die Kundschaft war um diese Zeit noch spärlich vertreten und nüchtern. Wahrscheinlich würden ein oder zwei der Besucher sie erkennen. Und Craig war noch genau fünf Minuten da.
Dani schluckte, während sie sich abermals nach einem Streifenwagen und grauen Sedan umsah. Niemand war ihr gefolgt, dafür hatte sie gesorgt. Sie konnte da jetzt reingehen, Craig in die Augen sehen und herausfinden, ob er tatsächlich mit Rosie gesprochen hatte oder Dani bloß zu sich locken wollte. Es würde nur fünf Minuten dauern, und niemand musste davon erf–
Ihr Handy klingelte. Danis Herz wäre vor Schreck fast stehengeblieben. Sheridan.
»Mein Gott, was ist denn jetzt schon wieder los?«, fragte sie gereizt.
»Du bist spät dran. Und du hast dich nicht gemeldet.«
Sie atmete hörbar aus. »O Mann …«
»Wo steckst du? Du klingst aufgebracht.«
Dani fluchte und versuchte, ihren Puls unter Kontrolle zu halten. Sie fühlte sich, als hätte man sie auf frischer Tat ertappt. Verdammt. Es war doch nicht illegal, in einen Club zu gehen. Selbst wenn ihre Vorgesetzten Wind davon bekämen, was konnte schon passieren?
Sie würden sie vor die Interne zerren. Das würde passieren. Und dann wäre es vollkommen egal, ob sie mit Ty Craig irgendwelche Deals abgeschlossen hatte oder nicht. Es genügte, dass sie, die Tochter von Artie Cole, den gleichen Laden betrat wie Ty Craig.
»Ich komme«, sagte sie, ließ den Motor an und schüttelte den Wahnsinn ab, der sie hierhergebracht hatte. Mein Gott, was hatte sie sich nur dabei gedacht?
»Wie lange brauchst du?«, wollte Mitch wissen.
»Fünfzehn Minuten.«
»Schaffst du es auch in zehn? Ich habe etwas gefunden.«
31
M ia tauschte ihren Saab gegen Sarahs Corolla, der zehn Blocks von Marshalls Praxis entfernt auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums stand, wo Mia ihn heute Morgen in einer Ecke abgestellt hatte. Der Innenraum roch nach kaltem Kaffee und Fritten. Und der Auspuff qualmte und hustete, als sei er verstopft. Es war halb acht, draußen war es trüb und neblig, aber noch nicht ganz dunkel. Die meisten Angestellten hatten schon Feierabend. Doch Dani Cole – sofern Brad ihr nicht irgendwelchen Mist erzählt hatte – arbeitete noch immer an dem Fall.
Mit Mitch. Zum Teufel mit ihr. Zum Teufel mit den beiden.
Mia fuhr an der Stiftung vorbei, bog um die Ecke und wendete. Dann stellte sie den Wagen an derselben Stelle ab wie damals, als sie die Fotos von Dani Cole geschossen hatte. Wenn Brad recht hatte und tatsächlich etwas zwischen Cole und Mitch lief, würde sie früher oder später hier auftauchen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Mia bezog Posten und legte eine alte Remington Kaliber .32, die bereits geladen war, neben sich auf den Beifahrersitz. Die Waffe entsprach zwar nicht ganz ihrem Stil, doch Mia scheute sich nicht, sie zu benutzen. Allerdings zog sie die Schere vor, leise und brutal. Mit einer Waffe machte es nur bumm – und weg war man. Schließlich hatte Mia stets bereut, dass Grady, der Freund ihrer Mutter, seinen Tod nie hatte kommen sehen. Deswegen hatte sie bei den Mädchen lieber die Schere benutzt. Den Moment der Erkenntnis in ihren Augen, wenn ihnen das Blut bereits aus den Adern tropfte, sie die Klinge sahen und ihnen klarwurde, dass sie benutzt wurde, um ihre Sünden zu büßen. Das war der Moment, für den sich alle Mühe lohnte.
Bei Dani Cole war es anders. Mia wollte sie einfach nur aus dem Weg schaffen. Dafür taugte die Waffe allemal. Wie bei Grady.
Mia strich sich mit einer Hand über das Haar, das sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt hatte. Ein klassischer Look, der von der weißblonden Strähne an der Seite stilvoll ergänzt wurde.
Mia nahm die Waffe zur Hand, und während sie auf Sheridans Wohnhaus zielte, lief ihr ein leichter Schauer der Erregung über den Rücken. Früher oder später würde Cole auftauchen. Und dann – bumm.
Als Dani und Tifton die Angestellten der Stiftung das erste Mal befragt hatten, hatte Marshall Kettering sie durch das Hauptgebäude der Stiftung begleitet, wo die Büros und Ausstellungsräume untergebracht waren. Das stattliche Wohnhaus nebenan war durch einen Tunnel mit dem Hauptgebäude verbunden, und die Keller konnten von außen jeweils über die Rückseite der Gebäude betreten werden. Da Dani wusste, dass sie ohne den Kellerschlüssel nicht ins Wohnhaus gelangte, beschloss sie, in einer Seitenstraße hinter dem Stiftungsgelände zu parken und im Schutz der Dunkelheit das
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