Mädchen und der Leibarzt
dazu zu sagen?«
Helena starrte auf ihre Hände, in denen sie eben noch das Buch gehalten hatte. Die Faust des Leibarztes schlug krachend auf den Tisch.
»Was du dazu zu sagen hast, du mörderisches Hexenweib! «
Sebastian war tot? Helena hob ihren Blick. »Warum sehen Sie mich so an? Denken Sie etwa, ich hätte … Sie glauben doch nicht …«
»Sei froh, dass ich bereit bin, meine Ohren mit den Worten einer Mörderin zu vergiften!«
Helena rang nach Luft. Vielleicht war das jetzt auch nur ein Traum, und sie würde gleich aufwachen? Vielleicht aber wurde es auch endlich Zeit, und der Moment war gekommen.
»Lassen Sie mich gefälligst ein für alle Mal in Frieden!«, fuhr sie den Äskulap an und erschrak vor ihrem eigenen Mut. »Ich habe genug von Ihren widerwärtigen und intriganten
Beleidigungen! Von Ihnen lasse ich mich nicht mehr schikanieren. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe! Halt, nur eines noch …« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Zum Mord fehlt mir schlicht und ergreifend das Motiv – und eine Hexe trägt für gewöhnlich rotes Haar. Merken Sie sich das!«
Der Äskulap war einen Moment sichtlich irritiert über ihren Ausbruch, dann aber setzte er ein Lächeln auf. »Zu einem Mord bedarf es weder roter Haare noch eines Motivs. Es reicht dafür auch ein dummes Weib!«
»Ich sagte, ich habe genug von Ihren Beleidigungen. Ich habe bei Sebastians Behandlung keinen Fehler gemacht!«
»Ach, so wie bei unserer Stiftsältesten, die seit heute Morgen von einem heftigen Frost geschüttelt wird, weil das Fenster die Nacht über sperrangelweit offen stand und kein Holz mehr im Ofen war? Oder dachtest du an die Gräfin zu Nassau-Weilburg, die dank deiner fulminanten Teemischung nun an einer Nierenkolik leidet?«
»Was sagen Sie da?«
»Ich habe nichts anderes erwartet. Es wundert mich überhaupt, dass Sebastian so lange durchgehalten hat.«
»Ich habe ihn nicht umgebracht!«
»So? Und wie willst du das beweisen? Irgendjemand hat ihn in der Nacht noch in kühle Laken eingewickelt …«
»Aber es waren nur die Beine …«
»Schweig! Es sollte wohl so aussehen, als hättest du dich um ihn gekümmert. Aber dir ist wie gewöhnlich ein kleiner Fehler unterlaufen. Du hast dieses Arzneifläschchen mit braunem Gift hier auf dem Nachtschränkchen stehen lassen. « Er hielt das Utensil wie eine Trophäe in die Luft. »Erkennst du es wieder?«
»Was für ein Gift? Das gehört mir nicht! Ich weiß nicht, was in dem Fläschchen ist!«
»So, so. Du meinst, du wärst nicht die Letzte gewesen, die bei Sebastian war? Es war immerhin schon weit nach Mitternacht, als ich dich aus seinem Haus kommen sah.«
»Ich schwöre, ich war das nicht!«
»Selbst wenn es ein Eichhörnchen gewesen wäre, niemand würde den Beobachtungen eines Leibarztes widersprechen. « Er beugte sich zu ihr vor. »Das verstehst du doch, nicht wahr?«
Helena erschauderte. Warum war die Seniorin im eiskalten Zimmer erwacht, obwohl genug Holz für die Nacht aufgelegen hatte? Sie hatte sich doch vergewissert! Und was war an der Teemischung falsch gewesen? Weshalb hatte Sebastians Wunde nicht aufgehört zu eitern? Sie wusste es. Wie weit würde der Äskulap noch gehen? War Sebastians Tod noch nicht der Höhepunkt seiner Intrigen? Sein fauliger Atem umschlang sie.
»Aber um Mitternacht war ich längst im Bett und habe geschlafen!«
»Was für ein hübsches Alibi. Du kannst den Mord so oft leugnen, wie du willst. So lange niemand deine Worthülsen bezeugen kann, sind sie so viel wert wie eine Flohdose.«
»Sie können mich nicht verurteilen!« Helena gab vor, gelassen zu sein, während es innerlich in ihr tobte. »Die Gerichtsbarkeit des Stifts hat immer noch die Fürstäbtissin inne. Wenn mich eine Schuld trifft, so werden das irdische und das himmlische Gericht die Strafe für mich bemessen. Ihr Urteil ist nicht gefragt! Außerdem werde ich …« Helena hielt inne, denn es hatte an der Türe geklopft.
Der Äskulap erhob sich. »Vielleicht kann die Fürstäbtissin
Gedanken lesen und will sich nun Klarheit verschaffen … Herein?«
Helena war einer Ohnmacht nahe, als sie sah, wer da im Türrahmen stand. Es war Gregor, der mit großer Selbstverständlichkeit die Höhle des Äskluap betrat, als hätte er in den letzten Wochen nichts anderes getan.
»Guten Morgen, werter Monsieur Dottore Tobler.«
»Graf von Herberstein! Was verschafft mir die Ehre? Sollten Sie nicht bei den Waffen sein? Was macht Ihr Leiden? Ich empfahl Ihnen doch, eine
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