Mädchen und der Leibarzt
Stiftsdiener anklopfen würde, und bei jedem Pochen an der Türe fast zu sterben, bis sich herausstellte, dass es nur ein Patient war.
Gegen Mittag hielt sie es nicht mehr aus. Sie machte sich auf den Weg zum Marktplatz, um für Lukas ein paar Besorgungen zu erledigen. Insbesondere fremde Händler waren im Ort aufgetaucht, die die in der Blatternzeit fehlende Konkurrenz nutzten, um Geschäfte zu machen; sie hatten kein Einsehen dafür, dass sie sich selbst in Gefahr brachten und zur Verbreitung der Blattern über die Dörfer und in die Städte beitrugen.
Die wenigen Geschäftemacher standen in dicken Umhängen auf dem Platz, frierend traten sie von einem Bein auf das andere und holten die Hände nur hervor, wenn es unbedingt sein musste. Ein alter Mann präsentierte unter Andrang in seinem Tabulet Pomeranzen und Öle in verschiedenen Farben, und die Waren seiner Frau wurden ebenfalls neugierig beäugt. Sie verkaufte neben Galanteriewaren silberne
Uhren und Tabaksdosen. Einige Händler weiter bot ein südländisch aussehender Mann ebenfalls Schmuckwaren an. Wie es in seinem Land wohl aussehen mochte? Ob er ein Fischerboot besaß, mit dem er aufs Meer hinausfahren konnte? Helena überkam großes Fernweh. Sie hätte den Mann zu gerne gefragt, wie das Meer aussah. Vor allem, ob es weit draußen auf dem Wasser wirklich nur den Horizont als Grenze gab.
Schon als Kind hatte sie die Händler genau beobachtet, wenn auch mit gehörigem Abstand. Sie bewunderte die verschiedenen Trachten und die speziellen Waren, die die Menschen in ihren Kraxen mit sich trugen, sog die fremden Gerüche in sich auf und ließ ihren Blick über das Dargebotene schweifen. Stundenlang konnte sie zusehen, wie ausgefallene Kräuter, praktische Wettergläser und modernste Mausefallen darauf warteten, den Besitzer zu wechseln.
Helena erstand einige getrocknete Kräuter, ein Stück Seife und ein rotes Wollknäuel. Die Wolle konnte sie von ihrem eigenen Geld bezahlen, weil Lukas in den letzten zwei Wochen seinen Lohn mit ihr geteilt hatte. Ihren Protest hatte er einfach überhört. Zum Dank dafür wollte sie ihm bis Weihnachten eine Mütze stricken, vielleicht mit einem Bommel, wenn die Wolle reichte.
Das Knäuel gut in ihrer Rocktasche versteckt, kehrte sie mit ihren Einkäufen zu Lukas zurück, der sie bereits mit einem dampfenden Kräutertee erwartete. Während sie ihre Errungenschaften auf den Tisch legte, stellte sie sich vor, wie Lukas wohl mit der roten Mütze aussehen würde. Zu den feuerroten Haaren passte sie allemal, dachte sie. Und wenn er so wie heute den blauen Rock und die gelbe Hose trug, dann würde ihr Geschenk ein Volltreffer werden.
»Hier, trink etwas.« Lukas hielt ihr den Becher entgegen, und Helena griff dankbar danach. Nun erst spürte sie ihre steif gefrorenen Finger. Sie atmete den Duft in sich ein und hob den Becher an die Lippen. »Lukas, das ist ja Baldriantee! So schlimm steht es nun auch wieder nicht um meine Nerven.«
»Trink, du wirst ihn brauchen. Eben war ein Bote aus dem Stift da. Die Fürstäbtissin lässt ausrichten, dass man dich um ein Uhr …«
»Im Ernst? Ich soll ins Stift kommen? Lukas! Das bedeutet, wir haben es geschafft, wir haben es tatsächlich geschafft? « Helena brachte gerade noch so viel Vernunft auf, ihren Teebecher abzustellen, bevor sie Lukas mit einem Freudenschrei um den Hals fiel.
Er griff sie an den Hüften und wirbelte sie herum. »Ich habe es gewusst, ich habe es die ganze Zeit gewusst, dass dir der Versuch gelingen wird! Jetzt sieht der Äskulap alt aus! Wenn das erst einmal über die Grenzen bekanntwird … Helena, die Leute werden dich auf Händen tragen, ist dir das eigentlich klar?«
»Irgendwie noch nicht.« Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. »Um ein Uhr hast du gesagt? Wie spät ist es jetzt?«
»Du hast noch genügend Zeit, beim Überqueren der Straßen nach den Kutschen zu sehen, einen Bogen um diversen Unrat zu machen und den Stiftstorwächter höflich zu überreden, dich einzulassen. Danach allerdings solltest du dich beeilen.«
KAPITEL 18
D as ließ sich Helena nicht zweimal sagen. Sie rannte durch Quedlinburg, kam außer Atem beim Stift an und wurde vom Wächter bereits am geöffneten Tor erwartet. Ein zweiter Diener empfing sie und begleitete sie im Eilschritt bis vor den Kapitelsaal, wo Borginino sie schließlich einließ.
Helena blieb wie vom Donner gerührt stehen. Vor ihr saßen bereits alle Gräfinnen um den Versammlungstisch, darauf konzentriert, der
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