Mädchen und der Leibarzt
Ich verstehe das einfach nicht!«
»Weil ich wusste, dass er wieder fortgeht … Zuerst habe ich es selbst nicht verstanden, aber nun kann ich es erklären: Ich habe mich unbewusst einer Beziehung hingegeben, die nicht von Dauer sein würde. Das war mein inneres Zugeständnis an unsere Liebe. Ich habe dich vermisst und geglaubt, in dem Franzosen etwas von dir wiedergefunden zu haben. Aber es war keine Liebe. Schließlich war es nicht derselbe Mensch wie du.«
»Und was ist mit dem kleinen Menschen in dir?«
»Er gehört zu mir.« Aurelia legte die Hand auf ihren Bauch. »Aber wenn mich die Blattern heimsuchen, werde ich sein Lächeln wohl nie zu Gesicht bekommen.«
»Du musst daran glauben, gesund zu bleiben.«
»Ich hoffe es so sehr. Und falls Gott doch noch etwas anderes
mit mir vorhat, so werde ich auch einen Weg für mich und mein Kind finden.«
»Und warum musste Helena sodann unter deiner Eifersucht leiden, wenn du doch alleine zurechtkommen willst?« Gregor stand auf und ging in kleinen Schritten auf und ab.
»Es tut mir leid, Gregor. Ich konnte nicht anders. Seitdem du Tag und Nacht bei mir bist, ist die Eifersucht wie weggeblasen. Aber vorher war ich nicht mehr Herr meiner Sinne.«
»Aurelia, sag mir die Wahrheit …« Er sah sie eindringlich an. »Hast du etwas mit dem Tod des Stiftskanzlers zu tun?«
»Bist du wahnsinnig? Nein! Es stimmt, ich habe Helena das Leben schwergemacht. Ich habe das Fenster im Zimmer der Stiftsältesten geöffnet und heimlich das Feuer ausgemacht. Aber ich habe nichts mit Sebastians Tod zu tun! Ich war bei ihm, ich wollte, dass er dich bei der Fürstäbtissin verrät, und ich war wütend auf ihn, weil er das nicht tun wollte. Aber ich habe ihm nichts getan! Das schwöre ich bei Gott.«
»Wer war es dann?«
»Ich weiß es nicht, Gregor! Aber ich war es nicht! Wirklich nicht! Natürlich mussten die kranken Gräfinnen meinetwegen einiges mehr aushalten. Ich wollte Helena leiden sehen, um meinen Schmerz zu betäuben, aber ich würde niemals versuchen, ihr einen Mord anzuhängen! Gregor, was denkst du von mir?«
»Es sind in letzter Zeit einige Dinge geschehen, die ich niemals von dir erwartet hätte.«
»Bitte, ich weiß nicht, wie ich es dir beweisen soll, aber irgendwann wird es sich hoffentlich klären, dass ich Sebastian nichts angetan habe! Und für alles andere werde ich geradestehen,
sofern ich hier lebend rauskomme. Aber was geschehen ist, kann ich nicht ungeschehen machen.«
Gregor setzte sich an den Studiertisch und rückte die Schachfiguren zurecht. »Das hat auch niemand verlangt. Auch ich trage einen Teil der Schuld. Hätte ich mich nicht vor meiner Truppe und vor mir selbst beweisen wollen, so hätte ich rechtzeitig meinen Abschied von der Armee genommen. Aber auch das kann ich nicht mehr ändern.«
»Doch vielleicht. Ich habe meinen Vater gebeten, sich für dich einzusetzen.«
Er drehte sich zu ihr um. »Du meinst, ich könnte schon bald wieder ein freier Mann sein?«
»Ich hoffe es sehr für dich.«
»Wenn mich bis dahin nicht die Blattern niedergestreckt haben …« Gregor sank in sich zusammen. »Irgendwie war ich doch leichtsinnig und vielleicht auch ein bisschen blind.«
»Huch, was ist das?« Aurelia fasste sich an den Bauch.
»Was ist los?« Besorgt stand Gregor auf und trat zu Aurelia, die unablässig auf ihren Bauch starrte.
»Da! Ich glaube, es hat sich bewegt! Fühl doch mal!«
Helena freute sich unbändig, als sie der Mutter des kleinen Patienten die Nachricht überbrachte, dass der Junge wohlauf sei und nach der gelungenen Zahnoperation nur noch Honig essen wolle.
»Vielen Dank, Herr Chirurg«, sagte sie, als sie gekommen war, um sich zu bedanken. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
»Die gelungene Operation ist mir Lohn genug.«
»Und der gute Honig?«
»Nun ja … Wenn der Topf leer ist, könnten Sie ihn mir sodann mit Gerstensaft gefüllt zurückbringen?«
Die Frau verabschiedete sich mit einem Lächeln, und Helena brachte die nächsten Stunden wieder damit zu, auf Nachricht aus dem Stift zu warten. Vierzehn Tage waren vorüber und mit jedem Tag, der ohne schlechte Nachricht vergangen war, war ihre Hoffnung gewachsen, ein Mittel gegen die Blattern gefunden zu haben. Lukas sah es mit Wohlwollen, wie sie stetig fröhlicher und manchmal sogar übermütig wurde.
Heute aber lagen ihre Nerven vor Aufregung blank, sie musste sich bewegen, sich irgendwie ablenken. Das Herumsitzen machte sie verrückt. Nicht zu wissen, wann ein
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