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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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sich so ungeniert mit fremden Lorbeeren schmückte. Unten im Kirchenschiff schwollen die Stimmen angesichts der unglaublichen Nachricht an. Ein Mittel gegen die Blattern. Das Raunen ging in Beifall über, Jubel drang zu ihnen empor.
    Als der Leibarzt die Hand erhob, um die Menge zum Schweigen zu bringen, wurde es still. »Wertes Volk, es sei euch vergönnt, meinen triumphalen Sieg über die Blattern mit mir zu feiern und im Anschluss darf ein jeder Bürger gerne das lebensrettende Mittel gegen ein kleines Entgelt bei mir oder meinem Gehilfen erwerben. Friedemar Roth steht Ihnen vertraulich zu Diensten.«
    Helena stockte der Atem. Friedemar!
    Mit stolzgeschwellter Brust trat er aus einer der vorderen Kirchenbänke heraus. Er trug eine weiße Perücke und einen scharlachroten Rock mit glänzenden Knöpfen. Er verbeugte sich tief vor der Versammlung.
    »Als Sohn des bekannten Medicus Roth aus Wernigerode, Gott hab ihn selig, ist es mir eine Ehre, mich in Diensten des überaus großmütigen Entdeckers des Blatternmittels zu befinden. Lob, Preis und Dank ihm, der uns von den Blattern befreien wird! Vivat , unserem gnädigen Medicus und Retter!«
    »Vivat!« , schallte es aus dem Volk zurück.
    Als wieder Ruhe eingekehrt war, trat die Fürstäbtissin vor den Leibarzt und besah ihn durch ihre Lorgnette. »Was geht hier vor sich?«, fragte sie. »Ich dachte, der Versuch sei misslungen und der Patient liege im Sterben?«
    Es war, als ob alle in der Kirche den Atem anhielten.
    »Aber liebste ehemalige Fürstäbtissin, wie kommen Sie darauf? Es ist alles in bester Ordnung.«

    »Oh ja, das ist es!« Ernestine schnellte in die Höhe. »Aber es ist nicht die ganze Wahrheit!«
    »Ernestine, halt dich zurück! Sei nicht leichtsinnig!«, raunte Helena ihr zu.
    »Ich habe nichts mehr zu verlieren.« Die Hände der alten Frau zitterten, ihre Augen waren starr auf einen Punkt unten im Chor gerichtet, als sie mit fester Stimme an die Menge im Kirchenschiff gewandt fortfuhr: »Niemand soll diesen Behauptungen glauben. Es sind Lügen. Tatsächlich wurde die Wirkung der Melkerknoten von einer Frau namens Helena Fechtner nachgewiesen.«
    Die Köpfe der Anwesenden wandten sich nach oben. Mit einem Seitenblick sah Lukas, dass Helena verschwunden war.
    Der Leibarzt schüttelte mitleidig den Kopf. »Ein kleiner Anfall von Hysterie, meine Damen und Herren. Achten Sie nicht auf die Wittfrau des Kutschers. Ich allein habe die Wirksamkeit der Melkerknoten an ihr nachgewiesen.«
    »Indem er mich erpresst hat!«, rief Ernestine hinunter. »Der Leibarzt ist lediglich Helenas Überlegungen gefolgt, aber es war Helena, die herausfand, dass sich die Melkerknoten von Mensch zu Mensch übertragen lassen, ohne dabei an Wirksamkeit nachzulassen! Ich kam mit dem Blatterngift in Berührung, und es konnte mir nichts anhaben. Das Mittel kann unbegrenzt von Mensch zu Mensch verbreitet werden und unzählige Leben bewahren. Viele von Ihnen werden das bald erleben. Das war alles, was ich sagen wollte. Danke.« Ernestines Brustkorb bebte, sie hatte sich völlig verausgabt und wohl noch nie in ihrem Leben so viel Mut bewiesen.
    Der Äskulap stand reglos da, nur seine Augen flogen unruhig
über die Menge der Huldigungsgäste, als müsse er erst begreifen, was um ihn herum passierte.
    Mit einer theatralischen Geste wandte sich Graf von der Schulenburg-Kehnert an seine Zuhörerschaft: »Ihr Abgeordneten der Gemeinden, Ihr ehrsamen Männer, Ihr habt die frohe Botschaft vernommen, kehrt noch heute nach dem Genusse der königlichen Gastfreigibigkeit in eure ländlichen Hütten zurück, kündigt Euren Mitbürgern, Euren Weibern, Kindern und Enkeln die frohe und glückliche Aussicht an, sagt ihnen, dass die Gefährdung des Lebens durch die Blattern vorbei ist und sagt ihnen auch, dass Seine Königliche Majestät, Euer gnädiger neuer Landesherr, Euer allseitiger Retter und Vater ist. Vivat , unserem König!«
    »Vivat!« , schallte es zurück. Die Leute jubelten und rissen die Arme in die Höhe.
    »Und als kleine Geste der Freundschaft Seiner Königlichen Majestät …«, verschaffte sich der Huldigungskommissär Gehör, »wird nun ein Mahl mit allerlei Köstlichkeiten in die Kirche gebracht und jedermann, auch Frauen und Kinder, sind geladen, daran teilzuhaben und auf die Gesundheit unseres gnädigen Landesherrn zu trinken. Der festliche Ball mit Tanz und Musik wird alsdann im Morgengrauen mit einer kleinen Illumination im Stiftshof seinen Ausklang finden.«

    Eisiger Wind

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