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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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schon die Blattern gehabt? Er sah nicht danach aus. Helena ging langsam weiter, den Blick auf den Weg gerichtet, nur noch die geforderten Gänsefedern vor Augen. Bis auf ein paar verstreute Hühnerfedern war jedoch nichts zu finden. Unterdessen kamen die Offiziere wieder aus dem Haus des Stiftskanzlers. Sie saßen auf und taten sich schwer, ihre Wut im Zaum zu halten, trieben sie doch ihre Pferde ohne Rücksicht auf das glatte Steinpflaster den Torweg hinunter.
    Kopfschüttelnd schaute Helena den beiden nach und entdeckte dabei im Schatten des gegenüberliegenden Baumes zwei Gänse, die an saftigen Grashalmen zupften.
    Helena duckte sich und schlich näher. Das Federvieh reckte die Hälse. Ein furchtbares Geschnatter begann, als sie sich auf die nächstbeste Gans stürzte, sie am Hals packte und zu Boden drückte, während das andere Tier unter lautem Protest das Weite suchte.

    »Was ist denn hier los? Mach dich fort, du billiger Gänsedieb, oder ich mache dir ordentlich Beine!«
    Erschrocken richtete sich Helena auf, den Hals der Gans fest umklammert. Es war Sebastian, der empört aus dem Fenster sah. Während sie noch die richtigen Worte suchte, spürte sie, wie der Gänseleib immer schwerer wurde. Die Flügel wurden schlaff und das Tier hörte auf sich zu wehren.
    »Helena, was soll das? Such dir deinen Reiseproviant gefälligst woanders! Das waren meine letzten beiden Tiere! Und wie soll sich nun die Gans allein vermehren? Wir haben alle kaum noch was zu essen! Ich teile gerne – aber nur, wenn man mich vorher darum bittet.«
    »Verzeihung, aber ich habe nur gemacht, worum mich der Leibarzt gebeten hat … Ich sollte Federn sammeln!«
    »Du gibst es auch noch zu? Und der Leibarzt hat dich dazu angestiftet? Das sieht ihm ähnlich. Aber gerade von dir hätte ich nicht erwartet, dass du mit diesem hinterhältigen Äskulap gemeinsame Sache machst.«
    »Aber ich …«
    »Der wahre Mensch äußert sich in seinen Taten, nicht in seinem Willen. Und nun gehe und bereue, bevor ich es bereue, dich nicht bei der Fürstäbtissin anzuzeigen!«
    Beschämt ließ sie die leblose Gans zu Boden gleiten. Im Gehen hörte sie noch, wie Sebastian ihr nachrief: »Und trampel nicht auf dem Rasen herum!«
    Helenas Traurigkeit wandelte sich in Wut. Jetzt machte ihr der auch noch Vorschriften! Eigentlich hätte sie schon vorgehabt, sich noch von Sebastian zu verabschieden, aber das konnte er jetzt vergessen! Nicht auf dem Rasen herumlaufen … Und wie der sich wegen dieser toten Gans aufregte! Als Braten auf dem Silbertablett würde er dem Vieh
doch auch keine Träne nachweinen. Außerdem hatte er sie geduzt.
    Zornig las sie ein paar Federn auf und versuchte sich auf das Sammeln zu konzentrieren. Eine ähnelte der anderen. Wo war da der Unterschied? Nachdenklich ging sie unter den hohen Edelkastanien, deren welke Blätter zur Erde schwebten und unter ihren Füßen zerbröselten. Keine einzige Esskastanie lag mehr auf dem Weg, alle waren säuberlich aufgelesen worden. Unvermittelt roch sie den süßlichherben Duft aus dem Ofen der Großmutter, der das nahe Ende der Hungerszeit versprach. Sie erinnerte sich an den warmen, mehligen Geschmack, die Vorfreude auf dieses Essen und das unbändige Verlangen, wenn es auf dem Teller lag. Wie sie den Kampf um ihre Selbstbeherrschung austrug, um sich nicht gleich am ersten Bissen den Mund zu verbrennen. Hunger keimte in ihr auf, aber sie war gewohnt, ihn zu unterdrücken.
    Ob sie heute Nacht vielleicht doch besser im Stift schlafen sollte? Ihr fiel wieder dieser Vagabund ein. Und ein noch viel schlimmerer Gedanke drängte sich ihr auf: Er hatte diese glänzenden, vor Angst geweiteten Augen gehabt. Glänzend oder fiebrig? Beginnende Blattern? Einfach vergessen. Sie wusste nicht, wer dieser Mann war. Und am Ende brächte sie sich wieder in Gefahr, nur weil sie ihm helfen wollte. Außerdem ließen sich Blattern, wenn es denn so war, am besten eindämmen, wenn der Kranke allein blieb.
    Helena kauerte sich nieder und sortierte gewissenhaft die Federn der Länge nach. Viel zu lange schon hatte sie sich damit beschäftigt; schließlich musste sie noch Vögel zählen und die Kirchturmuhr mahnte zur Eile.

KAPITEL 4
    A urelia von Hohenstein zählte die Glockenschläge, während sie an ihrem kleinen Damensekretär am Fenster saß und auf das leere Papier vor sich starrte. Endlich gab sie sich einen Ruck und malte sorgfältig mit der Schreibfeder Buchstabe für Buchstabe auf das Blatt. Hochzuverehrender Herr

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