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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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sag es nur!«
    »Siehst du, du kannst ja schon wieder lächeln. So gefällst du mir.« Er erhob sich mit wackeligen Beinen, schaute an sich hinunter und strich seine zerschlissene und schmutzige Kleidung glatt. Ein Ausdruck des Bedauerns legte sich auf sein Gesicht. »So kann ich niemals vor meine Aurelia treten. Sie wird sich bei meinem Anblick zu Tode erschrecken! «
    »Gregor, ich sage es dir noch einmal: Es grassieren die Blattern, und du solltest dich noch ein paar Tage von anderen Menschen fernhalten, bis wir sicher sein können, dass du gesund bist.«

    Gregor lachte ungläubig auf. »Aber du bist doch auch hier bei mir!« Er musterte sie eingehend von oben bis unten, wie sie in ihrem zerknitterten braunen Kleid vor ihm saß. »Oder bist du vor der Seuche gefeit, weil du eine milde Form überlebt hast? Aber du hast gar keine Narben. Also hattest du wohl auch nicht das Geld für eine Inokulation.«
    »Richtig. Aber ich bin im festen Glauben, dass mir die Blattern nichts anhaben können.«
    Gregor machte große Augen. »Das gibt es nicht.«
    »Doch. Meine Großmutter ist daran gestorben, und ich habe sie Tag und Nacht gepflegt. Längst müsste ich selbst auf dem Krankenlager dahinsiechen.«
    »Aber weshalb bist du gesund geblieben? Wenn du den Grund weißt, warum dein Körper sich dagegen wehrt, dann wäre das doch die Rettung für das ganze Volk! Wenn ich mir das nur vorstelle …«
    Helena begegnete seinem Begeisterungssturm mit einem Schulterzucken. »Ich weiß nicht warum.« Sie stand auf und stellte sich neben ihn. Gemeinsam sahen sie auf den sich hebenden Tag aus dem Erkerfenster. »Ich wollte heute Morgen eigentlich gleich noch einmal zum Äskulap, um zu sehen, wie es dem kleinen Mädchen geht, das ich behandelt habe«, lenkte sie ab. »Aber ich traue mich nicht. Ich weiß nicht, ob mein Eingriff die Entzündung gar noch verschlimmert hat.«
    »So wie du mit meinem Arm umgegangen bist, bin ich davon überzeugt, dass du auch das Kind richtig behandelt hast. Aber das kannst du nur herausfinden, indem du noch einmal zu unserem Äskulap gehst. Nicht wegen ihm. Wegen dir und der kleinen Patientin.«
    »Ich weiß nicht, ob ich den Mut dazu aufbringe. Einesteils
weiß ich, dass die Behandlung richtig war, andernteils befürchte ich das Schlimmste.«
    »Kannst du Schach spielen?« Gregor deutete auf das Marmorbrett mit den bereitstehenden Figuren.
    »Wie bitte?« Irritiert sah sie auf die offene Partie hinunter, bei der die wenigen weißen Figuren offensichtlich kurz vor Schachmatt standen. »Nein. Ich kenne nur die Regeln, das ist alles. Friedemar hat sie mir einmal …« Helena unterbrach sich.
    »Ich spiele Schach am liebsten gegen mich selbst. Es gibt nichts Spannenderes, als gegen einen vollkommen gleichwertigen Gegner zu kämpfen, dessen Strategie man bis in den hintersten Winkel seiner Gedanken kennt. Nur bringe ich es nie fertig, den letzten entscheidenden Zug auszuführen. Es ist, als würde ich damit einen Teil meiner Seele vernichten. «
    »Vielleicht gibt es ja noch einen Ausweg …« Helena besah sich noch immer die Partie. Der weiße König bildete mit zwei übrig gebliebenen Bauern ein Dreieck. Vor dem einen weißen Bauern standen ein schwarzer Läufer und ein schwarzer Bauer, vor dem anderen weißen Bauern ein schwarzes Pferd, das dem König Schach bot. Wich der König nun nach vorne oder nach links, so traf ihn der Läufer. Ein Schritt nach rechts bedeutete den sicheren Tod durch den schwarzen Bauern. »Du hast Recht. Es ist ziemlich aussichtslos.«
    Gregor starrte auf das Schachbrett und zog die Stirn in Falten. »Warte mal, das stimmt nicht ganz. Ich habe vor lauter Verteidigung den Angriff übersehen.«
    Angriff . Auf diesen Gedanken war sie gar nicht gekommen. Gebannt betrachtete sie die Positionen der weißen Figuren.

    Gregor beugte sich voller Begeisterung über die Partie. »Ich kann mit meinem Läufer das schwarze Pferd aus dem Hinterhalt schlagen! Dann wäre alles wieder offen! Und dann könnte ich …«
    Helena lächelte. »Jetzt weiß ich, was ich tun werde. Während du weiter Schach spielst, gehe ich zum Äskulap.«
    »Wirst du dich noch von mir verabschieden, ehe du weiterreitest? «, fragte Gregor sie leise.
    »Das ist nicht nötig. Ich werde zurückkommen, ganz bestimmt. «

KAPITEL 6
    A urelia hatte am Morgen darauf bestanden, das weiße Kleid anzuziehen. Es war reinweiß, nur die Ärmel und der Rocksaum waren mit goldfarbener Spitze besetzt. Gregor hatte es ihr geschenkt, und

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