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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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»Wasser, wir brauchen Wasser!« Sie riss ein leinenes Tuch aus der offenen Truhe und tauchte es in die bereitstehende Schüssel am Waschtisch. Mit geschickten Griffen schlang sie es um Leas Beine. Das Mädchen schrie entsetzt auf. Wasser tropfte auf
den Boden und durchweichte die dunkelgrüne Schürze der Mutter. Fest hielt sie ihr Kind umklammert.
    Es folgte eine bange Zeit des Wartens, bis Lea ruhiger wurde. Zuerst wimmerte sie noch, dann atmete sie gleichmäßiger und schließlich wurde sie von einem tiefen Schlaf übermannt.
    »Haben wir es überstanden?« Die Mutter schaukelte das Kind sanft auf ihrem Schoß.
    Helena war versucht zu nicken, doch dann schüttelte sie den Kopf. Solche Blatternfieber verschwanden nur mit dem Tod, falls nicht ein himmlisches Wunder geschah. Helena fiel jedes Wort schwer, aber die Mutter hatte ein Recht auf die Wahrheit. »Die Wirkung wird vermutlich nicht lange anhalten. Die Hitze wird zurückkehren.«
    »Gibt es denn überhaupt noch Hoffnung?« Sie streichelte zärtlich das dunkelblonde Köpfchen.
    Helena wandte den Blick ab; sie konnte die Mutter nicht mehr ansehen. »Ich werde tun, was ich kann. Ich will sogleich zum Leibarzt eilen und ihn wenigstens um ein Mittel gegen das hitzige Geblüt bitten.«
    »Aber das Geld …«
    »Machen Sie sich darüber keine Sorgen.«
    »Aber er wird um diese Uhrzeit nicht mehr in seinen Räumen sein.«
    »Ich sah erst vorhin noch eine Patientin zu ihm gehen. Er wird da sein. Er muss .«
    Als sie die Treppe hinunterging, standen ihr Tränen in den Augen.

    Lange würde sie es in ihrem Versteck nicht mehr aushalten, so zusammengekauert wie sie war. Ihre Beine waren mittlerweile taub, die Muskeln schmerzten und brannten, als stünde sie im Feuer. In einer dunklen Ecke nahe der Türe wartete sie auf den nichtsahnenden Diener, den sie mit dem Gang zum Leibarzt beauftragt hatte. Sie spähte in den von Öllampen erleuchteten Gewölbegang und horchte auf das gleichförmige Tropfen von den Wänden. Tatsächlich näherten sich bald darauf Schritte, die sie aus ihrer Bedrängnis zu erlösen versprachen. Das Fluchen Borgininos drang an ihr Ohr, der im schwachen Licht sicherlich über eine Unebenheit gestolpert war. Sie duckte sich hinter das kniehohe Podest mit der Ritterrüstung, die ihr zusätzlichen Sichtschutz bot.
    Der Diener trat an die Türe und klopfte an. In dieser unwirtlichen Umgebung wirkte sein ständig auf den Lippen mitgetragenes Lächeln noch befremdlicher. Hoffentlich verlief jetzt alles nach Plan, dachte Aurelia. Nun gab es kein Zurück mehr. Petroselinum crispum.
    »Wer stört?«, dröhnte die Stimme des Leibarztes.
    Der Diener öffnete die Türe mit einem knarrenden Geräusch. »Verzeihung, werter Monsieur Dottore Tobler. Eine Gräfin klagt über Unwohlsein und bittet um eine Visitation auf dem Zimmer.«
    »Ja, sind die Weiber denn noch zu retten?«, polterte er. »Auch ich habe meine Geschäftsstunden, und daran haben sich die werten Damen mit ihren diversen Zipperlein gefälligst zu halten! Krankheiten gibt es erst wieder morgen früh zur achten Stunde!«
    »Verzeihung, aber die Gräfin von Hohenstein erschien mir wirklich sehr unpässlich. Ich sollte ihr einen zweiten
Nachttopf, eine Schüssel mit Wasser und frische Tücher bringen, durfte es aber lediglich vor die Tür stellen und danach sollte ich Sie unverzüglich benachrichtigen.«
    »Die Gräfin von Hohenstein verlangt nach mir? Auf ihrem Zimmer?« Ein schnalzendes Geräusch ertönte. »Das ist natürlich etwas anderes.«
    Aurelia hörte, wie er seinen Stuhl zurückschob und sich der Türe näherte. Säuselnd erklang seine Stimme auf dem Flur. »Ich eile schon …«
    Zitternd wartete sie in ihrem Versteck, bis auch die Schritte des Dieners verklungen waren, dann kroch sie aus der Ecke hervor und verschwand in die Höhle des Äskulap. Ihr Atem ging schneller, als sie in den Raum hineinging. Die Luft war vom Ruß des Kaminfeuers erfüllt und es roch nach Wein, der, wie sie sah, in einem silbernen Krug auf dem Schreibtisch stand. Der Leibarzt hatte in der Eile die Kerzen nicht gelöscht. Ihr würde nicht viel Zeit bleiben, bis er wutentbrannt zurückkehrte.
    Sie näherte sich den mit Tierfellen ausgelegten Regalen. Der Feuerschein spiegelte sich in den unzähligen Weinflaschen wider, in denen er die Medizin lagerte, und erhellte flackernd die kaum lesbaren Aufschriften.
    Petroselinum crispum . Immer wieder formten ihre Lippen diese Worte, während sie an den wurmstichigen Regalen

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