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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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zu erheben. Mit einer Montgolfière kannst du fliegen, doch du kommst auch wieder auf die Erde zurück. Weißt du, irgendwie erging es dir bisher im Kampf mit dem Äskulap genauso wie den Gebrüdern Montgolfier mit ihrem Ballon: Ihren Ideen hat man auch nicht getraut. Der Korb wurde zuerst mit Tieren besetzt, da man glaubte, dort oben sterben zu müssen. Als Strafe, weil
man sich Gott zu weit näherte. Und was ist passiert? Gar nichts. Die Tiere sind wieder heil gelandet, und seither entstehen allerorts Nachbauten des Ballons, weil sich immer mehr Leute in die Lüfte schwingen wollen. Ganz zuvorderst natürlich die ärgsten Kritiker; aber selbst die wirbelt Gott nicht zu Boden. Er freut sich über jedes reumütige Schaf.«
    »Gregor, verzeiht Gott alles?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Ach Gregor, ich hätte so gerne Flügel.«
    Gregor griff mit seiner Hand auf die Stelle am Oberarm, an der die kleine Wunde war. Gedankenverloren starrte er in die Dunkelheit. »Du bekommst Flügel, Helena. Ich werde dir welche schenken. Versprochen.«

    Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen zu den Stiftsfenstern hereinkrochen, war Helena bereits auf dem Weg zum Leibarzt. Sie hegte die leise Hoffnung, Aurelia könne noch am Leben sein und sich in Behandlung befinden. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür war gering. So gering, dass Helena sich schwertat, wirklich daran zu glauben, denn ihr Verstand wusste es besser: Der übermäßige Genuss der Wohlverleihessenz hatte Aurelia getötet. Ihr Magen hatte sich mit Erbrechen gegen das Gift gewehrt, und als der Atem schleppender geworden war und sich die Lähmungen im Körper ausbreiteten, hatte Aurelia das nahe Ende spüren können. Ihr Herz hatte wohl noch eine Weile gekämpft, doch dann hatte das Wohlverleih seine tödliche Bestimmung erfüllt.

    Der Äskulap saß bereits an seinem Schreibtisch, als Helena die stickige Höhle betrat.
    »Ah, da ist ja das Weib.« Der Lehnstuhl knarrte, als sich der Leibarzt nach vorn beugte. »Was hast du mir zu sagen?«
    »Ich will Sie nicht lange belästigen«, brachte Helena mit zugeschnürter Kehle hervor. »Ich fühle mich schuldig an Gräfin Aurelias Tod und bin es nicht mehr wert, länger bei Ihnen zu lernen. Ich werde noch heute das Stift verlassen.«
    »Nicht so schnell. Du weißt, dass ich als Medicus dazu verpflichtet bin, pfuschende Weibsbilder anzuzeigen?«
    Helena stockte der Atem. »Aber ich wusste doch nichts von den anderen Umständen der Gräfin! Sonst wäre ich niemals mit dem Wohlverleih zu ihr gegangen!«
    »Sodann hätte man die Person eben gründlicher untersuchen müssen«, äffte der Leibarzt mit hoher Stimme.
    Helenas Augen wurden schmal. »Sie jedenfalls wussten von der Leibesfrucht. Aurelia hat es mir gesagt.«
    »Das ist richtig.« Der Leibarzt griente und holte tief Luft. »Und für wie dumm hältst du mich? Wenn ein schwangeres Weib nach Wohlverleih verlangt, so gibt es nur ein Mittel!« Seine Faust sauste krachend auf den Schreibtisch. »Eine gehörige Portion Rizinusöl! Und nichts anderes habe ich in die kleine Flasche gefüllt, bevor ich sie dir mitgab.«
    »Rizinus? Aber … aber dann müsste ja Aurelia noch am Leben sein?«
    Der Leibarzt entblößte sein fauliges Gebiss. »Sofern sich das Weib nicht die Seele aus dem Leib geschissen hat?«
    »Sie sind abscheulich!«
    »Jawohl. So abscheulich, dass ich dich vor einem tödlichen Fehler bewahrt habe! Ab sofort reißt du dich am Riemen. Es dürfen dir keine Fehler mehr unterlaufen! Und im
Übrigen – wenn du den Blatternversuch durchführst, sollte das unter meiner Aufsicht geschehen. Dein unvollkommener Geist benötigt die Führung eines Mannes, der die Zusammenhänge erfassen und das Ganze überschauen kann. Hast du mich verstanden? Ich werde dabei sein.«
    »Es wird gar nicht erst so weit kommen. Ich werde den Versuch nicht machen.«
    »Selbst zum Lügen ist dieses Weib zu dumm!«
    »Nein, das ist die Wahrheit!« Helena beobachtete ihn lauernd. »Mich würde vielmehr noch interessieren, warum Sie mir das Quecksilberwasser für die Gräfin mitgegeben haben, wenn Sie doch von der Leibesfrucht wussten?«
    Der Leibarzt lächelte. »Gut gedacht, aber leider die falsche Spur. Irgendwann wirst du von selbst draufkommen, wozu das Aqua mercuriale dienlich sein sollte. So, und nun halte das Weib sein Maul für den Rest des Tages. Wir müssen zur Visitation. Ernestine hat zu viel Geld.«

    Von den Bäumen war fast alles Laub abgefallen. Es raschelte unter ihren Füßen,

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