Maedchenauge
haben Sie oder Ihr Mann uns nicht schon längst davon erzählt?«
Frau Karner sah Lily fest an. »Ich habe nicht gedacht … oder zumindest nicht angenommen, dass es eine Rolle spielt … oder vielleicht hab ich es einfach nicht glauben wollen … Wissen Sie, wir sind normale Leute vom Land, da möchte man über gewisse Dinge nicht sprechen. Man behält sie für sich. Zum Beispiel wenn man sich für etwas schämt.«
»Da gibt es nichts, wofür Sie oder Ihr Mann sich hätten schämen müssen.«
»Ich weiß, aber trotzdem … Sie sind aus der Stadt … Kirche und … und Missbrauch … das sind sehr heikle Themen … Lieber hätte ich mich vom Blitz treffen lassen, als dass ich es Ihnen gesagt hätte.«
»Glauben Sie, dass Ihr Mann Zach getötet hat? Weil er annimmt, dass es Zach war, der Magdalena damals missbraucht hat?«
»Ich weiß es nicht … Vorgestern Abend war er nicht bei mir, er ist erst gestern früh nach Hause gekommen. Ich habe ihn gefragt, wo er war, aber er hat mir nicht geantwortet … Seit dem Tod von Magdalena ist er nicht mehr, wie er einmal war … Er wird beim kleinsten Anlass wütend … als würde er einen Anfall bekommen. Und er treibt sich herum … Ich mache mir Sorgen um ihn.«
Lily versprach Frau Karner, sie auf dem Laufenden zu halten. Zusammen mit Descho verließ sie das Haus.
Draußen blieb sie in der Sonne stehen und genoss für wenige Momente die wärmenden Strahlen, bevor sie sich an Descho wandte. »Ich befürchte, dass es jemanden gibt, der lästige Zeugen und Mitwisser auszuschalten versucht. Und der extrem gut informiert ist. Bitte lassen Sie Frau Karner unter permanenten Polizeischutz stellen und organisieren Sie einen vorübergehenden Wechsel ihres Wohnorts.«
Eine halbe Stunde später flog Lily zurück nach Wien. Während sie im Helikopter saß, überlegte sie angestrengt. Für die Schönheit der Landschaft hatte sie diesmal keinen Blick übrig.
*
Der Hubschrauber war in einem Hof des Innenministeriums gelandet. Belonoz holte Lily mit dem Alfa ab.
Bevor sie ins Auto stiegen, überreichte er ihr ein kleines, in Papier gehülltes Päckchen. »Ich habe zwei Semmeln mit Hirschsalami genommen, dazu einen Haufen Kirschen und eine Flasche stilles Mineralwasser.«
»Hirschsalami?«, fragte Lily überrascht. »Wo haben Sie die her?«
Belonoz zeigte keine Emotion. »Ich weiß, wo man in Wien was bekommt.«
»Jedenfalls danke für Ihre Mühe. Ich habe seit Stunden lediglich ein wenig Leitungswasser zu mir genommen.«
Als sie unterwegs waren, dauerte es, bis Belonoz zu sprechen anfing. »Am Telefon haben Sie mir ja noch nicht viel sagen wollen. Also, hat sich der Kurztrip ausgezahlt?«
Lily nickte ernst. »Definitiv. Das Kuriose ist, dass sich der Fall immer mehr auszuweiten scheint. Aber zugleich kommt es mir so vor, als würde sich die Schlinge enger ziehen. Natürlich hat Karner den Pfarrer nicht umgebracht. Vom Tathergang hat er keine Ahnung. Ich vermute, dass er einfach die Gelegenheit benutzen will, durch ein falsches Geständnis seine eigenen Schuldgefühle zu bekämpfen.«
»Welche Schuldgefühle?«
»Die Schuldgefühle, die bei allen besorgten Eltern entstehen, wenn ihrem Kind etwas zustößt. Vor zehn Jahren war Magdalena in einem Sommercamp in Südtirol. Dort hat sich irgendetwas ereignet, das sie als Missbrauch bezeichnet hat … Ich brauche jetzt Ihre Hilfe, Herr Major. Das ist eine Sache zwischen Ihnen und mir. Es geht um Ihre Kontakte zur italienischen Polizei. Wenn ich die offiziellen Kanäle bemühe, dauert es Tage oder Wochen, bis Ergebnisse vorliegen. So viel Zeit haben wir nicht, wenn wir weitere Morde verhindern wollen. Denn irgendjemand ist fleißig dabei, Menschen zu töten, die ahnen, worum es in Wahrheit geht.«
»Das kann ich für Sie arrangieren. Was wollen Sie wissen?«
»Ich muss noch herausfinden, wann genau dieses Sommercamp stattgefunden hat. Sobald das klar ist, benötige ich eine Liste aller Österreicher, die sich damals in Klausen aufgehalten haben. Vielleicht taucht ein Name auf, der uns bekannt vorkommt.«
Belonoz nickte, während er einparkte. »Übrigens, Kovacs hat das Geschäft gefunden, in dem der Lederanzug und der Helm aus Nicoles Kellerabteil gekauft worden sind. Genau am Tag des Mordes.«
»Großartig, Herr Major. Vielleicht erinnert sich jemand an den Käufer.«
»Kovacs hat eine Reihe von Fotos vorgelegt. Ein paar alte Bekannte aus unserem Archiv, gemischt mit Bildern von Tom und Nicole.«
»Hat das etwas
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