Maedchengrab
ich noch abhängen«, sagte Rebus. Clarke ging auf die Karte zu, sah sie aber gar nicht an, sondern die drei großen Einkaufstüten auf dem Tisch.
»Die Sachen muss ich noch wegräumen«, bemerkte Rebus beiläufig, konnte Clarke aber nicht täuschen. Sie zog ein paar Blätter aus der ersten Tüte.
»Du hast Kopien gemacht«, sagte sie. »Von den ganzen Akten …«
»Nicht von allen«, entgegnete Rebus. »Nur die offiziellen Berichte und Aussagen. Die Zeitungsartikel hab ich weggelassen.«
»Du lieber Himmel, John.«
»Du hast doch gesehen, wie’s im Büro zugeht, Siobhan. Ich hab die ganzen Kisten da hingeschleppt, und bis jetzt wurden sie nicht mal aufgemacht.«
»Vielleicht ist es dir entgangen, aber wir hatten ein bisschen was zu tun.«
»Du wolltest einen Raum dafür auftreiben.«
»Und das werde ich auch, wenn du mir Zeit lässt.« Sie hielt inne. »Aber darum geht’s hier doch gar nicht. Du hast Kopien gemacht, bevor du die Kisten übergeben hast. Du hattest nie vor, die Finger davon zu lassen.«
»Mir ist oft langweilig, Siobhan. Ich vertreibe mir die Zeit mit lesen …«
Sie warf ihm einen weiteren Blick zu. »Für die von der Inneren ist das ein gefundenes Fressen.«
»Nur wenn sie’s erfahren.«
» Wie kommst du drauf, dass sie’s nicht erfahren?«
Rebus zuckte mit den Schultern. »Ich hab immer so gearbeitet, Siobhan – das weißt du.«
»Und deshalb halten die Leute, mit denen du zusammenarbeitest, auch nie lange durch. Kannst du dich noch an Brian Holmes und Jack Morton erinnern?« Sie sah, wie sich sein Gesicht verfinsterte. »Okay, tut mir leid, das war unter der Gürtellinie.«
»Hat Fox die Namen bei eurer kleinen Plauderei fallen lassen?«
»Der hat’s auf dich abgesehen, John. Er war sogar bei mir zu Hause.«
» Wann?«
»Gestern Abend. Hat mich gewarnt, mich beschworen, ich sollte mich lieber auf seine Seite schlagen, nicht auf deine.« Sie schob die Blätter wieder in die Einkaufstüte und fragte ihn, ob er das Interview mit Nina Hazlitt gesehen habe.
»Kam das im Fernsehen?«
Clarke schüttelte den Kopf. »Ein Webcast irgendeiner Nachrichtenagentur. Hazlitt hat sich bei uns bedankt.«
»Nett von ihr.«
»Sie macht sich gut vor der Kamera. Keine Anzeichen von Wahnsinn.«
»Sie ist ja auch nicht wahnsinnig.« Doch Rebus erinnerte sich an das letzte Telefonat, als ihre Stimme fast schon hysterisch geklungen hatte.
»Man muss sie trotzdem ein bisschen zügeln, wenn das überhaupt möglich ist.«
»Und ich bin der Mann dafür? Hast du dir das ausgedacht oder Page?« Rebus wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. »Hat er dich hierhergeschickt?« Er ging ans Fenster und spähte auf die Straße. » Wartet er in seinem Wagen? Was fährt er?«
Ungefähr zwanzig Meter entfernt stand ein BMW in zweiter Reihe. Jemand saß hinter dem Lenkrad.
» Warum hast du ihn nicht mit reingebracht? Meinst du, deine weiblichen Reize wären in männlicher Begleitung nicht zur Geltung gekommen?«
Sie funkelte ihn böse an. »Das war meine Idee, John. Und hätte ich ihn mit hochgebracht, wärst du jetzt raus aus dem Fall.« Sie zeigte auf die Tüten.
»Der wär mir eh nicht ins Haus gekommen.«
Eine Sekunde lang schloss sie die Augen. Auf ihrem Handy ging eine SMS ein.
»Das wird er sein«, brummte Rebus. » Wird sich fragen, warum das so lange dauert.«
Clarke las die Nachricht und wandte sich zur Tür. » Wir sehen uns morgen«, sagte sie leise.
»Setzt er dich bei dir ab, oder fahrt ihr zu ihm?«
Sie ließ sich nicht darauf ein, ging einfach. Rebus blieb am Fenster stehen, beobachtete, wie sie das Gebäude verließ und auf den Wagen zuging. Die Scheinwerfer leuchteten auf und strahlten sie an wie eine Schauspielerin auf der Bühne.
Die Beifahrertür öffnete und schloss sich wieder, im BMW wurde geredet. Dann rollte der Wagen langsam die leicht abschüssige Arden Street hinunter auf die Kreuzung zu, vorbei an Rebus’ Wohnhaus. Fahrer und Beifahrerin starrten stur geradeaus. Er wünschte sich, Clarke würde hochsehen, aber sie tat es nicht.
»Charmant und elegant wie immer«, murmelte er vor sich hin.
Siobhan Clarke befand sich in einer heiklen Lage, irgendwo zwischen Page und Fox, und er sah, wie weh ihr das tat.
Wie weh er ihr tat.
Sie war gut in ihrem Job, hatte es verdient, eine Stufe aufzusteigen und ein störungsfreies Leben zu führen – und dann kam John Rebus reinspaziert, machte sich nicht mal die Mühe, die Schuhe abzutreten, und verteilte überall seinen
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