Maedchenjagd
Fragen?«
Lily hatte ihre Fassung wiedererlangt, doch sie konnte das alles noch immer nicht recht glauben. Wenn es wirklich stimmte, was Michelle Newman ihr erzählte, dann wäre es das Ende von Shanas Jurastudium, dann hätte Lily das ganze Geld, das sie für Shanas Ausbildung ausgegeben hatte, geradewegs zum Fenster hinausgeworfen. Warum sollte Shana sich ausgerechnet dieser Frau anvertrauen, einer völlig Fremden? »Wollen Sie behaupten, dass Shana in Ihr Büro spaziert ist und Ihnen mir nichts, dir nichts erzählt hat, dass sie drogenabhängig ist? Es fällt mir schwer, das zu glauben.«
»Das wundert mich nicht«, antwortete Newman. »Sie verstehen nicht, warum Shana es Ihnen selbst nicht erzählt hat, stimmt’s?«
»Nein, nicht ganz«, entgegnete Lily. »Ich bin nicht ganz blöd, Ms. Newman, ich …«
»Nennen Sie mich Michelle.«
»In Ordnung, Michelle, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich in Zukunft nicht unterbrechen.« Lily strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Jetzt habe ich vergessen, was ich sagen wollte.«
Michelle legte die Hände in den Schoß.
»Ich verstehe, dass es schwierig für Shana gewesen sein muss, es mir zu erzählen. Vorausgesetzt, Sie sagen die Wahrheit. Aber nachdem die Katze nun aus dem Sack ist, würde ich gerne mit meiner Tochter selbst sprechen. Vielleicht kann ich die Sache leichter annehmen, wenn ich sie aus ihrem eigenen Mund höre.«
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Shana hat eine Einverständniserklärung abgegeben, dass sie die Aufnahme beantragt. Sie hat uns außerdem eigens angewiesen, dass sie in der ersten Phase der Therapie weder von Ihnen noch irgendjemand anderem kontaktiert werden möchte.« Sie machte eine Pause, um Lily Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern. »Ihre Tochter ist erwachsen, Ms. Forrester. Die Kosten der Behandlung in Whitehall wird die Versicherung übernehmen, es gibt also keine Veranlassung, Sie mit einzubeziehen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen möchten, ich muss mich um andere Dinge kümmern.« Sie stand auf und wollte gehen.
»Wagen Sie es nicht, mich hier einfach stehenzulassen!«, schrie Lily. »Ich kenne meine Tochter, sie würde sich niemals an einen Ort wie diesen einweisen lassen. Zeigen Sie mir die Einverständniserklärung.«
»Natürlich«, sagte die Frau und entnahm ihrem Klemmbrett ein Papier. »Ist das hier die Unterschrift Ihrer Tochter?«
Lilys Hand mit dem Blatt zitterte. Es war ohne Zweifel Shanas Unterschrift. Sie stand auf, und unwillkürlich öffneten sich ihre Finger, und das Papier schwebte zu Boden. Ohne Michelle Newman eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie zur Tür und verließ das Krankenhaus.
Dr. Charles Morrow schlurfte über den Parkplatz des Clearwater Hospital. Auf dem schwarz glänzenden Leder seiner Schuhe spiegelte sich das Licht, und er sah hinauf in den Himmel. Sehnsüchtig betrachtete er den Vollmond zwischen den Sternen. Eigentlich sollte er jetzt an seinem Teleskop sitzen und die Mysterien des Universums entschlüsseln. Als junger Mann hatte er davon geträumt, Astrophysiker zu werden, doch seine Mutter war davon überzeugt gewesen, dass er der nächste Sigmund Freud sein würde. Als dann endlich der Doktortitel neben seinem Namen stand, war seine Mutter schon gestorben. Auch gut, dachte er, denn in der Welt der Psychiatrie war er nichts weiter als ein Name in den Gelben Seiten.
Morrow war in jeder Hinsicht ein Verlierer. Seine Frau hatte ihn verlassen und vor Gericht durchgesetzt, dass er seinen Sohn nicht sehen durfte. Er stand kurz vor dem Bankrott. Selbst sein Notgroschen war weg.
Sein einträglichstes Unternehmen waren die dreißigtausend Anteile an Whitehall, die er besaß, einer psychiatrischen Klinik, die privat geführt war und fünfzehn Meilen vom Clearwater Hospital entfernt lag. Die Klinik war eine Goldmine gewesen, bis jemand ihnen vorgeworfen hatte, dass sie Trinker und Obdachlose auf den Straßen von New York auflasen und sie in Whitehall abluden. Sie hatten jedes Jahr zu Anfang des Winters ein paar Angestellte nach Manhattan geschickt, wo sie Obdachlose umwarben, die sich für die staatliche Gesundheitsversorgung oder die Fürsorge eigneten, und hatten sie mit Postkarten von sonnigen Stränden in Kalifornien geködert. Wenn der Generalbundesanwalt diese Taten eindeutig nachweisen könnte, würde der Staat nicht länger die Rechnungen bezahlen.
Im ganzen Land bemühten sich Arbeitgeber und
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