Maedchenlose
gebirgsartige Gegenden in sich schlösse. – Nach dem Abendessen geht man entweder in den Garten, oder es wird musiziert: Herr v. Rothenburg singt sehr gut, Rose hat auch eine allerliebste Stimme, gewöhnlich spiele ich die Begleitung.
So fließen die Tage hin, gleichförmig und doch voll Wechsel; das Leben hier erscheint mir nicht mehr so unsympathisch, wie in den ersten Tagen. Wenn nur Nora hier bliebe! sie ist mein Stab und meine Stütze!
Drittes Kapitel
Licht und Schatten
Den 13. Juni.
Gestern haben wir einen reizenden Sonntag verlebt. Der Morgen war so köstlich frisch, die Vögel schmetterten so fröhlich in den blühenden Gebüschen, eine so festliche Stille lag über dem Hof ausgebreitet, daß mir auf einem kurzen Gange durch den Garten weihevoll und froh zugleich zu Mute wurde. Als wir beim Frühstück saßen, erschien Herr Klingemann auf der Veranda und fragte, ob wir Lust hätten, nachmittag eine Spazierfahrt zu unternehmen, er könne uns heute jede beliebige Anzahl Wagen zur Verfügung stellen. Ein betäubender Jubel erhob sich unter der jüngern Gesellschaft, und eine Unzahl von Vorschlägen schwirrte sogleich durch die Luft. Mühsam gebot Fräulein Lietzner Schweigen und schlug nun ihrerseits vor, auf den Johannesplatz zu fahren, dort Kaffee zu kochen und danach auf der Wiese Spiele zu spielen; einige Jugend aus der Nachbarschaft könne dazu aufgefordert werden. Nun entstand ein neues, jubelndes Entzücken, das aber plötzlich gedämpft wurde, als Frau Klingemann erklärte, siewerde mit Bruno zu Hause bleiben, aber gern dafür sorgen, daß zu dieser Partie alles aufs beste vorbereitet werde. Einige Stimmen riefen: Bruno muß mit! andere: ohne die Mutter ist es kein Vergnügen! Die kleinen Mädchen hängten sich liebkosend an ihre Mama und sahen mit feuchten Augen flehend zu ihr auf. »Ich denke, Mutter, es geht, daß ihr beide mitfahrt,« sagte Herr Klingemann, »wir nehmen für euch das Coupé; gewiß finden sich Freiwillige, die für Bruno Decken und Kissen vom Wagen bis zum Lagerplatz tragen, ihn selbst übernehme ich. Der arme Bursche ist ja ziemlich wohl, das Wetter sicher und schön, es wird ihm selbst Vergnügen machen, und du kannst mit ihm nach Hause fahren, wann du willst.«
Lauter Beifall folgte; jeder war bereit, etwas für Bruno zu thun, die liebe Frau Klingemann gab ihre Zustimmung, und alles eilte auseinander, um für die Unternehmung thätig zu sein; die Knaben liefen nach dem Stall, um ihre Pferde zu satteln und als Boten zu einigen Nachbarn zu reiten, nachdem sie ermahnt waren, zu rechter Zeit zur Sonntagsfeier zu Hause zu sein. Es war eine belebte Scene, und ich hatte den Eindruck, daß ein so großer Familienkreis doch auch seinen besonderen Reiz habe.
Ich schloß mich Nora an, die mit Fräulein Lietzner und Rose in die große Speisekammer ging, die ich noch nie betreten hatte. Welche Vorräte sind hier aufgehäuft, es schien mir genug, um ganze Regimenter zu bewirten. Da waren unabsehbare Reihen von langen, dicken Broten aufgeschichtet; da standen große Körbe mit feinerem Backwerk,riesige Kuchen lagen auf großen Blechen, eine ungeheure Schüssel war hoch mit goldgelber Butter beladen. Rose hörte nicht auf, über mein Staunen zu spotten und zu lachen, und fragte, ob ich denn gewöhnlich im Monde lebte und gar keinen Begriff davon hätte, daß in einem so großen ländlichen Haushalt jeder satt werden wolle. Ich solle nur fleißig wiederkommen, dann würde ich sehen, wie schnell diese Vorräte ein Ende nähmen und immer neu ersetzt werden müßten. Unterdessen waren ein paar Körbe geholt und mit allerlei Eßbarem gefüllt worden, nach meiner Ansicht genug, um uns während acht Tagen zu sättigen.
Inzwischen war es neun Uhr geworden; die Glocke, welche zu den Lehrstunden und Mahlzeiten ruft, ertönte; alle versammelten sich in dem großen Wohnzimmer. Erhitzt und atemlos traten die Knaben ein; die Herren, auch Herr v. Rothenburg, folgten; jeder fand seinen bestimmten Platz; die Kinder scharten sich um Fräulein Lietzner, die das Harmonium spielt; einige Dienstboten stellten sich im Hintergrunde auf. Ein vollstimmiger Gesang, der durch die tiefen Männerstimmen eine wohlthuende Grundlage erhielt, eröffnete die Feier, eine schöne Predigt wurde von Herrn Klingemann vorgelesen, jedes der Kinder sagte ein Lied oder einen Psalm auf, dann sprach Dr. Kron, der eigentlich Theologe ist, ein freies Gebet, und abermaliger Gesang machte den Schluß, nach welchem sich die kleine
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