Maedchenlose
hinein, ich laufe auf dem kürzesten Wege nach der Küche.«
Ganz beschämt raffte ich Sträuße und Kränze zusammen und trug sie zu Fräulein Lietzner, die sehr entzückt davon war. Ich wies alles Lob zurück und eilte auf mein Zimmer,wo ich einige Thränen vergoß, aus vielen verschiedenen Gründen, die ich Dir nicht alle aufzählen will, vielleicht verstehst Du mich auch ohne Worte.
Nach einer Weile klopfte Rose an: »Die Bolzen sind rot, bringen Sie mir schnell das Kleid.«
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, liebe Rose?« fragte ich sehr niedergeschlagen. »Nein, nein«, sagte sie lachend, »nur setzen Sie keine Jammermiene auf und sehen Sie mir nicht auf die Hände. Lieber lesen Sie mir etwas vor, aber etwas Großes, Gutes.«
Ich hatte die Scheffelschen Bergpsalmen und las ihr die ersten Gesänge vor; Du weißt, wie ich sie liebe: die erhabenen Worte und Bilder übten ihren alten Zauber auf mich aus, ich hatte bald alles um mich her vergessen.
»Fertig!« sagte Rose auf einmal und hielt mir mein Kleid vor Augen, so frisch und duftig, daß ich ihr um den Hals fiel und ihr aufs wärmste für ihre Freundlichkeit dankte.
»Ich habe Ihnen auch zu danken, Erna,« sagte sie herzlich, »Sie haben eine Stimme, die zum Herzen geht, und es thut dem Menschen wohl, sich so ganz über das Alltägliche zu erheben. – Sie müssen mir mehr davon vorlesen.«
Wie niedrig taxierte ich Rose, und wie sehr beschämt sie mich fortwährend! Ich glaube, ich werde sie noch sehr liebgewinnen.
Ich wollte, liebste Mama, Du hättest unsern Tisch am Sonntag sehen können, es war ein reizender Anblick; Blumen auf der Tafel, Blumen in den Haaren, auch die altern Herrschaften fanden jeder ein Sträußchen auf seinemTeller, die Herren steckten es ins Knopfloch. Jeder war in bester Sonntagslaune, und es herrschte eine vergnügte Unterhaltung; nur wenn es unten gar zu laut werden wollte, sandte Herr Klingemann einen mahnenden Blick herab und räusperte sich bedeutungsvoll – das wirkte wunderbar beschwichtigend.
Nachmittag, als die älteren Personen ihre Siesta beendet hatten, fuhr eine stolze Reihe von Equipagen vor; Herr Klingemann verteilte selbst die Glieder der zahlreichen Gesellschaft in die einzelnen Wagen. Einer nach dem andern fuhr mit seiner Ladung ab, zuletzt blieben Rose und ich allein übrig; eine allerliebste leichte Droschke fuhr vor, Herr v. Rothenburg schwang sich aus den Bock und ergriff selbst die Zügel. Es war eine lustige Fahrt; ich habe selten so viel gelacht, Rose war gar zu spaßhaft, ohne jemals unzart zu werden, auch Herr v. Rothenburg machte viele harmlose Scherze. An einer verabredeten Stelle trafen wir mehrere Wagen aus der Nachbarschaft, einige junge Mädchen mit Brüdern und Vettern, Kinder in allen Abstufungen gesellten sich zu uns, wir waren wohl dreißig Personen im ganzen. Nach kurzer Wanderung erreichten wir ein kleines Plateau, grün umkränzt von jungen Birken und dichtem Gesträuch, von einem Halbkreis von Rasenbänken umgeben. Der Hügel fällt steil ab zum Thal, inmitten grüner Wiesen fließt ein kleines Flüßchen, gegenüber erhebt sich wieder dichter Wald – ein reizender, idyllischer Punkt. Nun ging's an große Thätigkeit; einige machten einen bequemen Ruhesitz für Bruno zurecht, den sein Vater so lange auf seinenArmen trug, andere packten die Körbe aus und stellten alles zum Imbiß zurecht; die Knaben sammelten Reisig und fachten seitwärts ein riesiges Feuer an; mehrere Herren kletterten mit Kesseln zu Thal, um Wasser zu holen. Fräulein Lietzner kommandierte die ganze Schar, jeder mußte ihrem Wink gehorsam sein; und in nicht zu langer Zeit brodelte der Kaffee auf dem Feuer, lagen die Kuchenberge auf weißen Tüchern ausgebreitet, war die ganze Gesellschaft rund umher gruppiert. Die älteren Personen saßen auf der Rasenbank, die Jugend lagerte sich auf dem grün bewachsenen Boden; Rose eilte geschäftig von einem zum andern, schenkte Kaffee und Sahne ein, scherzte und lachte mit Großen und Kleinen. Ich sah sie mit andern Augen an, als früher, fand sie sehr hübsch und anmutig und freute mich zu sehen, daß mancher bewundernde Blick ihr folgte.
Nach dem Kaffee stieg die junge Welt ins Thal hinab, die Knaben in tollen Sprüngen voran, die Erwachsenen vorsichtiger hinterdrein; ein paarmal reichte mir Herr v. Rothenburg die Hand und half mir über schwierige Stellen hinweg. Aus der Wiese wurden allerlei lebhafte Spiele unternommen: »Bock, Bock schiele nicht,« »Katze und
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