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Maedchenlose

Titel: Maedchenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Augusti
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ist, wie sein zehnjähriger Bruder; er hat jetzt eine gute Zeit, da er wenigstens nicht an Bett und Stube gefesselt ist, was leider oft der Fall sein soll. Alles Leben in ihm konzentriert sich in den großen, glänzenden Augen, die rastlos umherschweifen; jede Bewegung ist ihm eine Pein. Welch ein Schmerz muß sein Anblick für seine Mutter sein! Das ist es wohl, was sie so blaß macht und einen so wehmütigen Zug in ihr liebes Gesicht bringt. – Last, not least folgt, umgeben von drei kleinen Mädchen, Fräulein Lietzner , eine Verwandte des Hauses, welche meiner Meinung nach das geplagteste Wesen auf Gottes Erde ist. Sie scheint keinen Augenblick der Muße zu kennen, sondern hat stets alle Hände voll zu thun. Sie unterrichtet die jüngern Kinder, beaufsichtigt dasKlavierüben, schneidet alle Butterbrote, stopft alle Strümpfe – und das will etwas sagen in einem so großen Hause. Bei Tische legt sie den Kleinen vor, schneidet den Braten, springt auch wohl auf, um etwas Fehlendes zu holen; ob sie Zeit hat, selbst zu essen, weiß ich nicht gewiß. Wer etwas braucht, oder einen Wunsch hat, wer etwas zerrissen oder verloren hat, wendet sich an Fräulein Lietzner – oder Tante Emma, wie die Kinder sie nennen. Dabei ist sie stets vergnügt und zum Scherzen aufgelegt, sie und Rose sind darin die treuesten Bundesgenossen. Rose steht ihr sehr hilfreich bei und ist beneidenswert geschickt in vielen Dingen, von denen ich keine Ahnung habe.
    Mein Tag verläuft in folgender Weise. Wir stehen recht früh auf, denn um 7 Uhr findet eine Morgenandacht statt, die eigentlich für die Kinder bestimmt ist, an der aber jeder teilnehmen kann. Wir singen einen Vers mit Begleitung des Harmoniums, Frau Klingemann liest eine kurze Betrachtung, und eines der Kinder spricht das Vaterunser. Dann küßt die Mutter jedes Kind und spricht mit dem einen und dem andern ein liebevolles, ermahnendes oder aufmunterndes Wort. Das Ganze ist sehr einfach und kurz, aber es kommt mir immer vor, als ob jedesmal ein neues Band der Liebe und Eintracht sich um alle Teilnehmenden schlänge.
    Nun folgt das Frühstück auf der Veranda, an dem aber nur Damen und Kinder teilnehmen; ein unbeschreibliches Stimmengewirr begleitet es. Inzwischen kommen die fremden Knaben angeritten, hier wird noch gelernt, dorterzählt oder gestritten, bis die Glocke ertönt, welche die Jugend in die Schulstunden ruft. Mit einem Schlage ist alles still; die Damen gehen an ihre häusliche Arbeit, ich wandere mit einem ernsten Buch in den Garten, zuweilen begleitet mich Nora, und wir haben manch schönes Gespräch miteinander. Um zehn Uhr ist die Pause für das zweite Frühstück, wieder stürmt die ganze Jugend heraus und stürzt sich auf die bereit stehenden Butterbrote, deren Zahl mir anfangs lächerlich groß vorkam, die aber im Umsehen verschwunden sind. Bin ich nicht gleich zur Stelle, so ertönt der laute Ruf: Erna, Erna! durch den Garten, denn seit ich ihnen einmal zur Beruhigung eine Geschichte erzählte, verlangen sie es täglich, und ich kann mit der gespannten Aufmerksamkeit meines Auditoriums wohl zufrieden sein.
    Bis Mittag arbeite ich auf meinem Zimmer, und nach Tisch lese ich an irgend einem kühlen Plätzchen ein leichtes Buch oder schreibe an Dich und an Papa. Die Vesperstunde führt die ganze Gesellschaft auf dem Kaffeeplatz unter schattigen Linden zusammen; jetzt sind auch die Herren dabei, und es herrscht nicht die Ungebundenheit des ersten Frühstücks. Ich wünschte, ich könnte es Rose gleichthun, welche sich mit Fräulein Lietzner in die Bedienung des großen Kreises teilt und sich dabei sehr geschickt zu benehmen weiß; aber ich würde doch nur Unheil anrichten, und so versuche ich es lieber gar nicht, sondern begnüge mich damit, Bruno zu versorgen, neben dem ich immer einen Platz finde. Er hat das regste Interesse für alle geistigen Dinge und ein merkwürdigrichtiges Urteil, obgleich seine Kenntnisse sehr mangelhaft sind; wir haben oft lange Gespräche zusammen, und die andern nennen uns die beiden Gelehrten. – Ein Teil der Gesellschaft bleibt nach dem Kaffee unter den Linden sitzen, man liest die Zeitungen, nimmt eine Handarbeit vor und unterhält sich, bis der kühler werdende Tag zu einem Spaziergange einladet. Es sind rings umher hübsche Partien zu machen, überall wechselt Berg und Thal, schmale Pfade führen auf und ab durch waldige Hügel, reizende Fernblicke öffnen sich. Ich hätte kaum geglaubt, daß unsere Provinz mitten im Lande so schöne,

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