Maedchenlose
Gemeinde still und ohne viele Worte zerstreute. Es war sehr feierlich und ging mir tief zu Herzen; es schien mir, als ob danach jeder dem andern noch liebevoller undherzlicher begegnete, selbst die alte Frau Klingemann sah milder und freundlicher aus, als sie mir je vorgekommen war.
»Nun müssen wir etwas zum Schmuck der Tafel thun,« sagte Rose, »wir wollen die großen Schalen mit Blumen füllen, man muß gleich sehen, daß es Sonntag ist.« Wir nahmen unsere Hüte und liefen in den Garten; es war eine wahre Lust, denn man braucht die Hand nur auszustrecken, so hat man den schönsten Strauß voll duftender Blütenpracht. »Die kleinen Mädchen müssen Kränze aufsetzen«, sagte Rose, »suchen Sie mir noch feine Gräser dazu, und für uns vier junge Mädchen, Tante Emma eingeschlossen, machen wir Sträußchen ins Haar und zum Vorstecken.« Ich sah ihr bewundernd zu, wie sie flink und zierlich alles arrangierte; ich versuchte es auch, ließ aber bald davon ab, denn was ich machte, sah steif und schwer aus.
»Wo haben Sie das nur gelernt?« fragte ich.
Sie sah mich lachend an. »O Sie Stadtkind! Wenn man mit den wilden Blumen in Wald und Feld zusammen aufwächst, lernt sich das ganz von selbst.«
»Ich glaubte, Sie lebten auch in der Stadt und wären jetzt nur zur Erholung aufs Land geschickt.«
»Nein,« erwiderte sie mit einem Seufzer, und ein dunkler Schatten flog über ihr heiteres Gesicht, »mein Vater besaß ein kleines Gut, nicht weit von hier, und ich habe meine Kindheit in goldener Freiheit genossen. Niemand fragte viel nach uns, meinem Bruder und mir; wir wuchsen auf wie die Hühner und Lämmer, man gab uns Futter und ließ uns laufen. Meine Mutter war früh gestorben,eine Tante hielt Haus bei uns. Der arme Papa hatte kein Glück, es ging immer weiter bergab mit uns – und eines Morgens erwachten wir als Waisen. Nun wurde alles verkauft, mein Bruder kam zu Verwandten am Rhein; seit acht Jahren habe ich ihn nicht wiedergesehen. Ich zog mit der Tante nach der Stadt, sie hatte ihr kleines Vermögen glücklich geborgen, ich habe es nicht schlecht bei ihr gehabt. Jetzt bin ich achtzehn Jahre alt und muß auf eigenen Füßen stehen; zum Herbst suche ich mir eine Stelle zur ›Stütze der Hausfrau‹ – wenn Sie einmal heiraten, Erna, so denken Sie an mich, ich werde Ihnen Ihr Haus hübsch in Ordnung halten.« Sie lächelte beim Schluß schon wieder; ich aber war so tief erschüttert von dieser Erzählung, daß ich kaum sprechen konnte.
»Arme Rose,« sagte ich leise, »wie ist es nur möglich, daß Sie immer so fröhlich sind?«
»Was würde es mir helfen, wenn ich jammern und weinen wollte? Die Sonne scheint doch auch für mich so hell, die Blumen blühen zu meinem Besten, und gute Menschen giebt es überall. Der liebe Gott richtet es schon so ein, daß er uns irgend einen Ersatz giebt, wenn er uns auch manches nimmt; mir gab er ein fröhliches Herz und einen leichten Sinn, und ich bin ihm aufrichtig dankbar dafür.«
Ich küßte sie herzlich – zum erstenmal – und bat ihr im stillen mein vorschnelles Urteil ab. Mit wieviel Gaben und Gütern hat mich Gott überschüttet! Ich kam mir plötzlich so undankbar vor, als hätte ich noch nie den vollen Wert meines Glückes empfunden.
»Was für Blumen soll ich für Sie nehmen?« fragte Rosa, »welche Farbe hat Ihr Kleid?« Es fiel mir schwer aufs Herz, daß ich vergessen hatte, mein neues Batistkleid tags zuvor zum Plätten herauszugeben, obgleich mich Nora daran erinnert hatte. »Mein blaues Baregekleid,« sagte ich etwas kleinlaut, »denn ich fürchte, das andere ist nicht glatt genug.«
»Nein, das paßt nicht zu einer Landpartie,« erwiderte sie entschieden, »Sie müssen ein helles, luftiges Sommerkleid anziehen.« Ich gestand meine Vergeßlichkeit und fragte schüchtern, ob ich das Kleid jetzt noch einem Mädchen zum Plätten geben dürfe.
»Nein, das geht nicht, die haben genug zu thun, und wir dürfen den armen Dingern Sonntags keine Extraarbeit aufpacken. Sie müssen es selber plätten, Erna, das ist eine gerechte Strafe.«
»Aber das kann ich nicht,« sagte ich sehr erschrocken, »ich habe noch nie ein Plätteisen in der Hand gehabt.«
Sie brach in ein lautes Gelächter aus. »Sind Sie eine Prinzessin, die immer eine Kammerjungfer hinter sich hat? Dann müssen Sie sie aber auch auf Reisen mitnehmen, denn ein bürgerliches Haus kann Ihnen keine stellen. Aber ich will Erbarmen mit Ihnen haben und selbst Ihre Jungfer sein; tragen Sie die Blumen
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