Maedchenlose
hoffentlich nicht vergessen werde.
Den 16. Juni.
Gestern hat meine geliebte Nora uns verlassen! Ich hatte schon in unserm Zimmer von ihr Abschied genommen und konnte sie draußen dem Ansturm der übrigen Hausgenossen überlassen. Es schien, als sollten die Küsse und Umarmungen, die letzten und allerletzten Worte kein Ende nehmen, bis Herr Klingemann dem Kutscher heimlich ein Zeichen gab und der Wagen plötzlich abfuhr. Mir war recht wehmütig zu Mut, als er hinter dem Hofthorverschwand. Die Knaben, die sich eine Freistunde erbeten hatten, warfen sich auf ihre Pferde und jagten ihm nach, um die liebe Tante bis an die Grenze zu begleiten; wir andern eilten auf den Schloßberg, um ihr von dort die letzten Grüße zuzuwinken. Es war ein hübscher Anblick, als die ganze Kavalkade unten auf der Chaussee sichtbar wurde; Herrn v. Rothenburgs Schimmel sprengte auch noch heran zum Geleit des geehrten Gastes, und wie eine Fürstin, welche die Huldigungen ihrer Unterthanen empfängt, fuhr unsere Nora davon.
Mit mütterlicher Güte legte Frau Klingemann ihren Arm um meine Schulter und sagte liebevoll, sie fürchte, ich werde mir ohne meine Freundin sehr verlassen vorkommen. Ich versicherte ihr, daß ich mich in ihrem Hause schon sehr wohl fühle, nur anfangs hätte mich das völlig Ungewohnte und Fremdartige etwas beängstigt, aber das sei längst überwunden. Darauf meinte sie, es könne ja nicht anders sein, als daß in einem so großen Haushalt der einzelne sich dem Ganzen füge und unterordne, wenn ich aber einen besondern Wunsch oder eine Klage hätte, so möchte ich mich nur vertrauensvoll an sie wenden. Ob mir Roses Art und Weise auch nicht störend sei? Dem widersprach ich lebhaft und sagte ihr, wie freundlich Rose immer sei und wie lieb ich sie schon gewonnen hätte, besonders, seit ich durch ihre traurige Lebensgeschichte einen Einblick in ihr ganzes Wesen erhalten habe. Wie froh war ich, das alles mit voller herzlicher Überzeugung aussprechen zu können! – Ich gewann durch dies Gespräch ein rechtes Vertrauen zu der sanften, gütigen Frau, die mir als das Ideal einer Mutterund Hausfrau erscheint – das heißt, meine einzige Mama, als ein Ideal in ihrer Sphäre; für unsere ganz abweichenden Verhältnisse bist und bleibst du mein höchstes Vorbild! –
Heute beim Frühstück fragte mich Rosa neckend, ob ich Lust habe, tüchtig zu helfen, es sei großer Arbeitstag.
»Es wird ein Schwein geschlachtet, und wir machen Wurst; Sie können recht froh sein, Erna, daß Sie es so gut treffen, sonst ereignet sich das kaum im Sommer, es geschieht zu Ihrem speziellen Besten.« Ich sagte, ich wolle kommen, es mir anzusehen, meine Hilfe könne ich nicht versprechen. Rose lachte.
»Das nenne ich vorsichtig, kleine Prinzessin! Aber wenigstens können Sie mir beistehen, das zweite Frühstück zu besorgen, damit Tante Emma sofort an die Arbeit gehen kann. Binden Sie Ihre tüchtigste Schürze um und kommen Sie mit in die Speisekammer.«
Rose hat eine Art zu kommandieren, die zwar scherzhaft klingt, aber keinen Widerspruch aufkommen läßt; ich legte mein Geschichtsbuch hin und that gehorsam, wie sie befahl. Sie schnitt die zahllosen Brotstücke, und ich mußte sie streichen. Aber wieviel Lehren bekam ich dabei! »Für die Kinder dickes Brot und dünne Butter, das thut der Jugend gut und stärkt die Zähne. Bruno erhält ein feines Scheibchen und ein Stück Fleisch dazu; Großmama liebt grobes Brot und reichliche Butter, sie ist immer für das Solide. Herr v. Rothenburg schätzt Klappbrötchen, der Schinken dazwischen muß in feine Streifen geschnitten werden, er ist ein Aristokrat in allen seinen Gewohnheiten. Dr. Kron ißt gern Käse, die Beamten brauchen energischeStullen gegen einen ehrlichen Hunger.« Mir wurde ganz schwindlig. »Wie können Sie das nur alles behalten, Rose? Ich würde alle nach dem gleichen Zuschnitt behandeln.«
»Ja, Sie würden einen reizenden Haushalt führen,« sagte sie lachend, »friß Vogel oder stirb! ist eine bequeme Losung. Aber wer sich sein Brot unter Fremden erwerben will, muß lernen, auf ihre Eigenheiten zu achten, und mir macht es Spaß, den Leuten ihre kleinen Liebhabereien abzulauschen.« Endlich war alles fertig, mir that ordentlich die Hand weh, doch hütete ich mich, es zu gestehen.
Wir gingen in die Küche, wo Fräulein Lietzner mit einigen Mägden schon in voller Thätigkeit war, während Frau Klingemann der Wirtin ihre Anordnungen gab. Rose streifte sofort ihre Ärmel in die
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