Maedchenmoerder Ein Liebesroman
Und ganz so, als sei es ihm plötzlich wichtig zu beweisen, dass er sich wenigstens den Gesetzen der Straßenverkehrsordnung zu unterwerfen vermochte, drosselte er in fast schon aufreizender Weise die Geschwindigkeit. Ich hatte den Satz auf der Zunge, ob er nicht ein bisschen Gas geben könne. (Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht: Aber ich werde verrückt, wenn einer hinterm Steuer trödelt - ganz gleich, ob ich es eilig habe oder nicht. Sonntagsfahrerei bereitet mir physisches Unbehagen. So, als ob der Rhythmus meines Bluts in einen fremden Takt gezwungen werden sollte. Ich kann es nicht aushalten, wenn meine Mutter mit hundertzehn Stundenkilometern über die Autobahn schleicht. Seit meinem Führerschein haben wir deshalb immer Streit, wer von uns beiden fahren darf.)
Mein Herz machte einen Sprung, als mein Peiniger nach einer weiteren halben Stunde (grob geschätzt, ich hatte wirklich keine Lust, aufs Armaturenbrett zu gucken) die Autobahn verließ. Kurz erlaubte ich mir die Hoffnung, ihm sei das Benzin ausgegangen und er müsse tanken. Aber dann fiel mir ein, dass wir an mindestens zwei Tankstellen vorbeigekommen waren und dass er mitten in der Nacht doch lieber an einer anonymen Autobahnals an einer neugierigen Dorftankstelle halten würde. (Zumal solche Dorftankstellen nachts ohnehin fast immer geschlossen sind.) Ich überlegte, ob es mir weiterhelfen würde, wenn ich ihm mitteilte, dass ich aufs Klo müsse. Er war sicher nicht scharf darauf, dass ich seine schicken Ledersitze einnässte. Andererseits waren die Ledersitze seit dem Hohen Venn ohnehin ruiniert. Und was hätte es mir schon gebracht, selbst wenn er irgendwo am Straßenrand gehalten hätte. Mit meinen gefesselten Armen hätte ich es ohnehin nicht geschafft, schnell genug davonzurennen. Zwar war die flache, hügelige Gegend, durch die wir jetzt fuhren, ziemlich dicht besiedelt. Doch die Backsteindörfer und Bauernhöfe schienen nicht weniger tief zu schlafen als die Steinhäuser in den Ardennen.
Das Ganze erinnerte mich ein wenig an Holland, und in der Tat wechselten die Ortsnamen bald von Französisch zu Niederländisch. Aus dem Umstand, dass wir keine weitere Grenze passiert hatten, schloss ich, dass wir im flämischen Teil von Belgien sein mussten. Allerdings konnte ich mir immer noch nicht vorstellen, was mein Peiniger hier wollte. Er hatte die Chance gehabt, mich in einem Moor ein für alle Mal loszuwerden! Da würde er doch jetzt nicht versuchen, mich in dieser Region zu entsorgen, in der alles nur nach Ferien auf dem Bauernhof und Ponyreiten roch. Obwohl: Was wusste ich schon, wie dieser Mann tickte. Vielleicht fand er es »lustig«, mich in einem Schweinestall zu erdrosseln und anschließend in die Mistgrube zu werfen. Die weiteren Ideen, auf die ihn das Motiv »Bauernhof« bringen mochte, malte ich mir lieber nicht aus.
Ich versuchte, mich wieder auf Ortsnamen zu konzentrieren. Kluisbergen. Nukerke. Maarkedal. Etikhove. Den Schildern nach musste irgendwo rechts Brüssel liegen. Ich begann, die (geschlossenen) Tankstellen und Billigrestaurants und Baumärkte und Autohäuser und Möbeldiscounter zu zählen. Obwohl ich fast kein Holländisch kann, versuchte ich, Plakate und Geschäftsaufschriften zu übersetzen. Ich hielt nach Kirchtürmen Ausschau.
Die Straße war mittlerweile zu einer Art Schnellstraße geworden, wir näherten uns einer größer wirkenden Ortschaft namens Oudenaarde. Doch anstatt den Weg ins Zentrum zu wählen, bog mein Peiniger links ab. Auf eine schmale, nicht erleuchtete Landstraße. Ich konnte mir gerade noch den Namen des Fleckens merken, zu dem das Sträßchen führte, dann brach die Panik, die ich so lange unterdrückt hatte, aus. Ich weiß nicht, ob ich zu brüllen und/oder zu strampeln begann, jedenfalls steuerte mein Peiniger den Porsche an den Straßenrand und knallte mir den Ellenbogen ins Gesicht. Der Hieb beeindruckte mich noch weniger als alle früheren. (Zuerst wollte ich schreiben, dass es zu einem »Handgemenge« gekommen sei, aber das wäre, zumindest was meinen Teil betrifft, das falsche Wort gewesen...) Da sein Messer ins Moor gefallen war, wusste er sich nicht anders zu helfen, als dass er neues Werkzeug aus seiner Sporttasche holte. Dazu musste er allerdings aussteigen. (Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass ich ihm noch einmal solche Probleme bereiten würde, sonst hätte er die Tasche sicher griffbereit auf einem der Rücksitze verstaut.) Während der kurzen Zeit, die er vorn am
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