Maedchenmoerder Ein Liebesroman
ehrlich sein. Ich selbst habe auch sehr lange gebraucht, bis ich draufgekommen bin. Zu meiner Rechtfertigung kann ich aber anführen, dass ich zuvor nur ein einziges Mal auf einem Campingplatz gewesen bin. Und das ist ewig her. (Meine Mutter, die in ihrer Jugend oft beim Zelten gewesen war, hatte gefunden, es sei gut für ihre Tochter, wenn diese wenigstens ein bisschen »Zelterfahrung« sammeln würde. Mein Vater hatte allerdings rasch genug gehabt von der »Zigeunerromantik«, weshalb er mit uns nach wenigen Nächten doch wieder in ein Hotel gezogen war. Sie sehen: Ich bin wirklich keine Proficamperin.)
Wie ich bald erfahren sollte, lag ich in einem fest installierten, ziemlich großen Wohncontainer, die der Campingplatz an Urlauber - und offensichtlich nicht nur an solche - vermietete.
Zu Recht werden Sie wissen wollen, welche Bewandtnis es mit diesem Container hat. Wie mir mein Peiniger später erzählte, hatte er ihn seit vielen Jahren dauergemietet, weil die Gegend rund um Oudenaarde ideal zum Trainieren sei und er im Anschluss an diese Trainingsfahrten nicht auch noch nach Aachen hatte zurückfahren können oder wollen. Ich verstehe, wenn Sie an dieser Stelle skeptisch sind. Aber anscheinend hatte mein Peiniger seinen Wohnwagen ursprünglich tatsächlich nicht als Mädchengefängnis, sondern als eine Art Trainingslager genutzt. Als er mir in der Nacht endlich die Binde von den Augen nahm, sah ich mehrere dieser lächerlich bunten Radlerklamotten mit den dicken Einlagen in den Hosen herumhängen. (Viel später, da waren wir schon in Frankreich oder Spanien, fing er an, mir ausführlich Radlergeschichten zu erzählen. Von wund gescheuerten Hintern, Pilzen und »Sitzledern«, die jeden Morgen eingefettet wurden und sich auf der nackten Haut kalt und glitschig anfühlten. Besonders gern erzählte er von Durchfall während der Rennen, die man aber trotzdem nicht abbrechen durfte. Ich gestehe, dass sich mein Mitleid in Grenzen hielt. Dennoch bin ich bereit einzuräumen, dass es sich beim Profiradsport offenbar um eine ziemlich menschenverachtende Angelegenheit handelt, die zu der einen oder anderen seelischen Deformation führen mag. (Aber das entschuldigt nichts von dem, was mein Peiniger mir und den anderen Mädchen angetan hat!))
Ich merke gerade, dass ich bei der Aufzählung der Geräusche eins vergessen habe. Vermutlich aus dem Grund, weil es für mich das allerschlimmste war - schlimmer noch als Shakira: Geschirrklappern.
Ich hatte seit bestimmt vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen. Jetzt, während ich dalag und mein Magen sich immer mehr verkrampfte, verfluchte ich mich dafür, dass ich die letzte Banane - jene, die mein Peiniger mir hatte in den Mund rammen wollen - ausgeschlagen hatte. Und dann gesellte sich zu dem Geschirrklappern auch noch der Geruch von Gegrilltem. Nicht, dass ich ein großer Grillfan wäre. Aber die Vorstellung, dass vermutlich keine fünfzig Meter entfernt von mir Menschen in Steaks - oder immerhin Bratwürste - bissen, brachte mich beinahe um den Verstand. Mein Durst, der ohnehin unerträglich war, wurde durch den Grillgeruch weiter angefacht.
Ich denke, dass ich in dieser Situation zu heulen begann. Ich erzähle dies nur, weil ich nicht sehr nah am Wasser gebaut habe. (Im Gegenteil, meine Mutter hat mich als Kind sogar mal zur Kindertherapeutin geschleppt, weil sie es nicht normal fand, dass ihre Tochter nie weinte. Als mein Vater Wind von der Aktion bekam, hat es einen furchtbaren Krach gegeben.) Und bis zum heutigen Tag finde ich Heulen-Können auch nichts, worauf man besonders stolz sein müsste. Wenn überhaupt, heule ich aus Zorn. Dennoch wäre es gelogen, würde ich behaupten, dass es in jener Situation nur Wuttränen waren, die mir in die Augen strömten und von dort direkt weiter in das Tuch, das sie zur Nutzlosigkeit verdammte. Ich war sicher, sterben zu müssen. Und zwar auf die wohl qualvollste Weise, auf die ein Mensch sterben kann. Gefesselt, geknebelt, verdurstend, verhungernd.
Wer garantierte mir, dass mich mein Peiniger nicht bereits entsorgt hatte ? Vielleicht saß er in seinem Porsche und war längst in Frankreich, Holland oder sonstwo unterwegs. Sein letztes Erlebnis mit mir hatte ihn so frustriert, dass er endgültig die Lust verloren hatte.
Und - nun muss ich auf einen Punkt kommen, den ich bislang womöglich noch nie hinreichend erklärt habe und der deshalb für so viele Missverständnisse gesorgt hat: Jawohl, in diesem Moment hasste ich mich
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