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Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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von selbst. (So heißt der Pulk, in dem die Rennfahrer die meiste Zeit durch die Landschaft rollen.) Und als Allererstes lerne man, sich in diesen fünf Sprachen zu beschimpfen. (Wer hätte gedacht, dass aus mir mal eine Fachfrau für Radsport werden würde? Jetzt fällt mir auch wieder ein, wie das Wort heißt, das ich vorhin gesucht habe: »Hungerast«. »Am Col de Sowieso hatte ich einen derartigen Hungerast, dass kurz vorm Gipfel nur noch der Mann mit dem Hammer kam« - solche Sätze durfte ich mir später, auf der Fahrt durch die Pyrenäen, ständig anhören. (Als ich das Wort »Hungerast« gehört habe, musste ich spontan an einen Geier denken, der auf einem Baum hockt und darauf wartet, dass der Mensch darunter endlich stirbt.))
     
     
    (Julia, lenk nicht ab!)
     
     
    Besonders zynische Journalisten haben immer wieder die Frage durchschimmern lassen, ob mir keine »Teilschuld« an den Morden zukäme, die mein Peiniger in der Zeit begangen hat, in der ich seine Geisel war. Im letzten Kapitel habe ich selbst erklärt, für wie verwerflich ich es halte, wenn ein Mensch nicht alles in seiner Macht Stehende versucht, um einen anderen Menschen am Morden zu hindern. Einen einzigen Weg hätte es vielleicht tatsächlich gegeben, den acht, neun Mädchen, die mein Peiniger noch umbringen sollte, das Leben zu retten: Ich hätte den Mut haben müssen, einen tödlichen Autounfall zu provozieren. Und glauben Sie mir: Mehr als einmal habe ich mit dem Gedanken gespielt, bei voller Fahrt ins Lenkrad zu greifen, auf dass unsere Reise in einer Autobahnleitplanke - oder besser noch in einer einsamen Gorge - ihr Ende nehmen würde. Und ja: Ich schäme mich dafür, dass mir in den entscheidenden Momenten mein eigenes Leben plötzlich so wertvoll erschienen ist, dass ich es nicht über mich gebracht habe. Eine »Mit schuld « lasse ich mir aber einzig und allein von denjenigen vorwerfen, die dieses Urteil vom Himmel herab fällen - in welchem sie sich nämlich befinden, weil sie zu den wenigen Helden gehören, die bereit waren, ihr eigenes Leben zu opfern, um andere Leben zu retten. Alle anderen mögen für immer schweigen!
     
     
    (Julia, es bringt nichts, wenn Du ausrastest. Du kennst Deine Schuld. ( Aber muss ich sie wirklich vor allen Leuten ausbreiten ?))
     
     
    Es fällt mir schwer zu begreifen, welcher Teufel mich an jenem Mittag geritten hat. Vermutlich hatte mich das Glück über meine neuen Jeans, meine weiße Bluse mit den kleinen grünen Punkten, meine Adiletten und meine XXL-Sonnenbrille übermütig werden lassen. Und mein Peiniger hatte mich genervt, indem er immer wieder damit angefangen hatte, ob ich mir nicht »bescheuert« vorkäme, bei diesem strahlenden Wetter in langer Hose und einer langärmligen Bluse herumzulaufen. (Dieselbe Diskussion hatte ich in den Monaten zuvor zigmal mit meiner Mutter geführt, die mir auch einreden wollte, es sei »nicht normal«, dass ich mich weigerte, kurze Hosen oder T-Shirts zu tragen. Dabei verstehe ich wirklich nicht, worüber sie sich aufgeregt hat. Die allermeisten Eltern der allermeisten Schulkameradinnen von mir wären überglücklich gewesen, wären ihre Töchter nicht in Mikroröcken und bauchfreien Tops, sondern angezogen herumgelaufen.)
    Aber welch unselige Eingebung war es, die mich zu meinem Peiniger sagen ließ, dass er sich bei diesem Thema zurückhalten solle, schließlich trüge er ja sogar eine Jeans jacke . Woraufhin er feststellte, dass er diese gern ausziehen könne, wenn ich scharf darauf sei, mit dem, was er darunter habe, gründlicher Bekanntschaft zu schließen.
    Warum konnte ich damals nicht einfach den Mund halten!
    Warum musste ich ihn herausfordern, indem ich sagte, dass er mit seiner Pistole nicht so angeben solle. Und dass ich inzwischen beinahe das Gefühl hätte, er bräuchte diese Pistole ohnehin nur, um sich wichtig zu machen.
    Soll ich dem Schicksal dafür danken, dass wir zu diesem Zeitpunkt wenigstens nicht mehr in dem Autobahnrestaurant saßen, in dem wir zu Mittag gegessen hatten, sondern auf dem kleinen Rastplatz irgendwo im Département Saône-et-Loire, an dem mein Peiniger gehalten hatte, weil er sich ein wenig in der Sonne ausruhen wollte?
    Seine Augen wurden ganz schmal, und er starrte an mir vorbei auf die Weide, die hinter dem Rastplatz begann. Wir waren allein - ob in dem LKW am anderen Ende des Platzes ein Fahrer saß, konnte ich nicht erkennen - im Hintergrund rauschte der vielspurige Verkehr, und ich spürte, dass etwas

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