Maedchenmoerder Ein Liebesroman
seinen Schädel einmal ins Holz krachen lassen, will er schon wieder hinaus. In einer engen Kurve, zu der sein Matador ihn zwingt, stolpert er über die eigenen Vorderbeine und stürzt in den Sand. Das Publikum lacht. Offensichtlich hat sich das Tier beim Sturz ein Bein verstaucht oder gebrochen. Ohne sich für die pinkfarbenen Umhänge zu interessieren, die sein Matador und dessen Helfer schwenken, hinkt es in Richtung jenes Tors, durch das es wenige Augenblicke zuvor hereingestürmt ist. Das Publikum beginnt zu buhen. Und auch das Jeansjackenpüppchen wendet seine Aufmerksamkeit von dem Mädchen im hellblauen Trägerkleid ab, das eine Reihe vor ihm sitzt, steckt zwei Finger in den Mund und pfeift.
Das rothaarige Püppchen fängt an, auf seinem Platz umherzurutschen.
Und da es von hier oben so wirken könnte, als sei ihm bloß der Stein, auf dem es sitzt, zu hart geworden, will ich für Sie ein langes Hörrohr hinunterlassen, damit Sie den Dialog belauschen können.
»Wieso lässt der Schiedsrichter den Stier nicht endlich zurück in den Stall? Der muss doch sehen, dass sich das arme Tier verletzt hat.«
»Gott, bist du bescheuert. Zurück in den Stall . Das verdammte Vieh soll weiterkämpfen.«
»Aber wenn es wirklich nicht mehr kann?«
» Wirklich nicht gibt’s nicht.«
»Ich denke, du bist Sportler. Das ist total unfair, was da unten passiert.«
»Stierkampf ist Stierkampf. Und kein Softball.«
»Was hat denn das mit Softball zu tun! Ich wette, du wärst ausgeflippt , wenn du bei deinen Rennen so ungerecht behandelt worden wärst wie dieser arme Stier.«
»Schätzchen, Gerechtigkeit hat nichts mit dem zu tun, was die Spießer meinen, wenn sie ›fair‹ oder ›unfair‹ brüllen. Worum es geht, ist höhere Gerechtigkeit . Und deshalb kann sich dieser verdammte Stier auch nicht einfach drücken. Ich gebe bei einem Rennen ja auch nicht auf, bloß weil ich mir das Handgelenk gebrochen habe. Nur ein feiger Stier lässt sich von seinen Schmerzen einschüchtern. Ein guter Stier braucht den Schmerz, um richtig stark zu werden.«
Eigentlich ist das »Höhrrohr« bei der »Baumübung« nicht erlaubt. Deshalb muss ich es jetzt schnell wieder einholen, bevor meine Therapeutin kommt und mit mir schimpft. (Aber ich kann Sie beruhigen, Sie verpassen nichts. Das rothaarige Püppchen muss seine Erwiderung, dass der Vortrag zwar beeindruckend geklungen habe, es aber doch einen entscheidenden Unterschied zwischen einem Stier und einem Radler gäbe, nämlich jenen, dass der Radler sich seine masochistische Sportart selbst ausgesucht habe, während der Stier von niemandem gefragt worden sei, ob er in einer Arena zu Tode gequält werden wolle, diese Erwiderung muss sich das rothaarige Püppchen ohnehin verkneifen, da die Arlesienner und Arlesiennerinnen zu allen Seiten böse zu zischen beginnen.)
Die Sonne ist mittlerweile fast hinter dem Arenarand verschwunden. Eins der Bilder, die an den aufragenden Mauerresten befestigt sind und vom selben Künstler stammen mögen, der sein Verslein in den Sand gesprüht hat, wird von einem letzten Lichtstrahl getroffen. Es zeigt einen Torero von hinten zusammen mit irgendeinem Heiligen. Vielleicht hat der Künstler es verdient, dass seine Werke verwüstet werden.
Der verletzte Stier schleppt sich durch den zweiten Akt, die Stimmung in der Arena ist gereizt, von den sechs Spießen, die diesmal nicht der Matador selbst, sondern seine Helfer in den Nacken des Tieres rammen, wollen nur zwei halten, und auch das Finale misslingt. Der Matador flucht und schwitzt, mehrfach gelingt es dem Stier, seinen Töter zu einer kurzen Flucht zu zwingen, das Publikum murrt, und die längliche Beule, die sich schon die ganze Zeit am grün-gold verhüllten Oberschenkel des Matadors abzeichnet, wirkt plötzlich nicht mehr stolz, sondern wie eine eitle Hasenpfote.
Das Jeansjackenpüppchen hat jegliches Interesse an dem, was unten in der Arena geschieht, verloren. Es tippt dem Mädchen mit dem hellblauen Trägerkleid auf die Schulter, und als dieses sich umdreht, reicht es ihm die Strickjacke, die zu Boden gefallen war, nachdem das Jeansjackenpüppchen selbst sie mit der Fußspitze hinuntergezogen hatte. Das Trägerkleidmädchen lacht und bedankt sich, seine Zähne sind sehr groß und weiß. Und während sich das braune Fell des Stiers immer blutiger färbt, weil der Matador mit seinem Degen stets die falsche Stelle trifft, und das Jeansjackenpüppchen das Trägerkleidmädchen fragt, ob es immer so
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