Maedchenmoerder Ein Liebesroman
Peiniger sich so ausführlich beraten, als wolle er eine zweite Karriere - streng genommen wohl eher eine dritte (nach Radprofi und Mädchenmörder) - als Fotograf beginnen. (In gewisser Weise hatte er dies auch vor, aber noch muss ich Sie um ein wenig Geduld bitten.)
An der Kasse zahlte er mit Kreditkarte. Als wir draußen in der Sonne standen und er den kleinen gelben Beleg in seine Hosentasche stopfte, fragte er mich gut gelaunt, ob ich wisse, was er an den Franzosen am meisten liebe. Wahrheitsgemäß antwortete ich: »Nein.« (Woher zum Teufel hätte ich wissen sollen, was er an den Franzosen am meisten liebte! (Ihren Camembert? Chanel No. 5? Die Tour de France?) Ich hasse diese Art Fragen, bei denen es einzig und allein darum geht, sich selbst wichtig zu machen. (Carina ist darin Meisterin: »Weißt du, worauf ich jetzt tierisch Bock hätte...?«)) Da mein Peiniger also ohnehin nicht mit einer Antwort gerechnet hatte, offenbarte er mir unverzüglich, wie wunderbar er es finde, dass hier in Frankreich kein Hahn danach krähen würde, ob der Haken, den man auf einen Zahlungsbeleg kritzelte, irgendetwas mit der Unterschrift auf der Rückseite der Kreditkarte zu tun hätte, und man stattdessen - auch im Jahre 2006 noch - auf jeder Euro-Quittung lieber umrechnete, wie viele französische Francs man soeben theoretisch ausgegeben hatte. Ich brauchte einen Moment, bis ich kapierte, dass dies seine verschrobene Art war, mir mitzuteilen, dass er die teure Kamera mit Genevièves Bankkarte bezahlt hatte. Anscheinend war er endgültig übergeschnappt. (Zumindest wusste ich jetzt, warum er gestern Morgen aus Genevièves Handtasche die Geldbörse herausgenommen hatte, bevor er sie in die Gorges de la Nesque geschleudert hatte.) Lachend fügte er hinzu, dass man in Frankreich wohl auch mit der Schwimmbadkarte seiner Nichte bezahlen könne und niemand würde sich wundern. (Hätte er ebenso geredet, hätte er damals geahnt, dass sein leichtsinniger Umgang mit Kreditkarten schon bald die Polizei auf seine Spur bringen würde?)
Ich erzähle Ihnen dieses Detail nur, damit sie einen weiteren Aspekt begreifen, der seinen Charakter ausgemacht hat: Bei aller Abgebrühtheit und Schläue, mit der er zu Werke ging, übermannte ihn immer wieder seine Liebe zum Risiko, so dass er alle Umsicht vergaß und das Schicksal - oder Gott persönlich - herausforderte. Später, in der Sierra Nevada, zog er den Wagen einmal nachts auf die Gegenspur hinüber, als er ein Paar Scheinwerfer auf uns zukommen sah. Hätte der andere das Steuer nicht in letzter Sekunde herumgerissen - wir alle wären tot gewesen. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass mein Peiniger es ebendarauf angelegt hatte. Aber eigentlich glaube ich das nicht. Denn während ich mir schreiend die Augen zugehalten hatte, hatte er nur gesagt: »Der Sack da oben will mich einfach nicht haben.« Und ich erinnere mich, dass seine Stimme weder traurig noch triumphal, sondern lediglich feststellend geklungen hatte, so als hätte er gesagt: »In Frankreich leben die Franzosen.« (Im Philosophieunterricht hatten wir verschiedene Gottesbeweise durchgenommen. Und ich hatte die Frage gestellt, ob alle Philosophen immer nur versucht hätten zu beweisen, dass Gott existiere, oder ob es auch welche gegeben habe, die versucht hätten zu beweisen, dass Gott nicht existiere. Unser Lehrer hatte mir daraufhin empfohlen, Nietzsche zu lesen, und tatsächlich habe ich Also sprach Zarathustra bei meinem Vater aus der Bibliothek geholt. Auch wenn ich vieles an dem Buch mochte - vor allem den Satz: »Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können« (in der Abizeitung hatte ich ihn sogar als »Motto« angegeben) - auch wenn ich also vieles am Zarathustra mochte, fand ich Nietzsches Argumentation in Sachen »Gott ist tot« nicht besonders überzeugend. Die berühmten Sätze lauten ja: »Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter.« Ist das nicht so, wie wenn ich sagen würde: »Wenn es Mädchen gäbe, die dünner sind als ich, wie hielte ich’s aus, nicht so dünn zu sein! Also gibt es keine dünneren Mädchen.« Ich denke, Sie verstehen, was ich meine. (Ich bezweifle jedoch, dass mein Peiniger sich solche philosophischen Gedanken gemacht hat. Seine Auseinandersetzung mit Gott war eher blutiger Natur.)
Als letzte Station unseres Shoppingvormittags - zuvor waren wir noch in einer Apotheke gewesen, um Heftpflaster für meinen
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