Maedchenmoerder Ein Liebesroman
meiner Nachbarn diesen Unsinn mitgemacht. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich heute Morgen ganz früh mit Tinka raus bin, und im Treppenhaus lauter UGGs und Cowboystiefel mit Schokoladenmännern und Tannengrün herumstanden. (Mir reicht das Päckchen, das meine Mutter mir geschickt hat. Ich weiß nicht, seit wie viel hundert Jahren ich versuche, ihr klarzumachen, dass ich Christstollen hasse .))
Den schönsten Satz zu diesem Thema hat die schlaue Journalistin geschrieben, von der auch der Jojo-Vergleich stammt. Sie meint, ein Serienmörder, der alle seine Leichen im Moor versenkt, wäre wie ein Künstler, der seine Bilder vernichtet, anstatt sie auszustellen. Ich denke, mein Peiniger befand sich in einem dreifachen Zwiespalt. (Wie nennt man das dann? »Trispalt«?) Einerseits wollte er in Ruhe weitermorden. Andererseits wollte er aller Welt zeigen, was für ein skrupelloser Bastard er war. (Und leider gibt es genug Leute, die solche Bastarde tatsächlich bewundern.) Drittens schließlich entwickelte er eine immer größere Lust daran, nicht nur Jäger, sondern Gejagter zu sein. Wahrscheinlich hatte es mit dem zu tun, was er mir in der Arena über »höhere Gerechtigkeit« erzählt hatte. Ich will nicht behaupten, dass ich den Zusammenhang vollends begreife, aber die Erfahrungen, die ich in den kommenden Tagen mit ihm machen sollte, beweisen, dass er sich in seiner neuen Rolle als gejagter Jäger gefiel.
Zwar höhnte er an jenem Morgen, der »armselige Fettsack von Patron« habe es verdient, dass die Vergewaltigung und Ermordung seiner Tochter lediglich eine Randnotiz im Lokalteil des Dauphiné Libéré wert war. Doch ich schwöre Ihnen: In Wahrheit war er enttäuscht, dass über sein » crime hideux, atroce et lâche « nicht im größeren Stil berichtet worden war. Warum sonst war er nach unserem Aufbruch im Campanile -Hotel kurz vor Morgengrauen noch einmal zur Auberge de la Tête Noire zurückgekehrt, um die Leiche der armen Geneviève dort auf dem Parkplatz abzuladen - anstatt sie in einem der vielen Wälder oder in einer der Schluchten der Vaucluse loszuwerden, durch die er mit mir anschließend (fast wie damals in den Ardennen) gerast ist? Natürlich ist er dieses Risiko in erster Linie eingegangen, um den Patron zu quälen, der laut Zeitungsartikel tatsächlich so unselig war, den » cadavre de sa petite fille « selbst zu entdecken. (Anscheinend ist dies nicht nur eine Eigenheit im Deutschen, dass man lieber vom »Leichnam der Tochter« als von der »toten Tochter« spricht. Und irgendwie klingt »Leichnam der Tochter« ja auch wirklich besser. So als ob es die Tochter weiterhin gäbe, und sie jetzt außer einer Lieblingshandtasche und einem Teddybären eben auch noch einen Leichnam hätte.) Trotzdem bin ich sicher, dass mein Peiniger diese Tollkühnheit vor allem deshalb gewagt hat, um in den Medien groß herauszukommen. (Und bald sollte er auf Titelseiten zu sehen sein, aber davon später.)
Nach dem Frühstück kaufte er eine Kamera. Und zwar keine von diesen billigen Knipsschachteln, in denen der Film schon drin ist und die man zum Entwickeln komplett im Laden abgibt, sondern eine richtig teure Kamera mit großem Objektiv, die mich - obwohl sie natürlich digital war - an den altmodischen schwarzen Apparat erinnerte, mit dem meine Mutter früher ihre Sonnenuntergänge fotografiert hatte. (Wie viele Urlaubskräche hatte es zwischen meinen Eltern gegeben, weil meine Mutter am Strand auf den perfekten Sonnenuntergang warten, mein Vater aber bereits essen gehen wollte. Und immer, wenn mein Vater sich durchgesetzt hatte, sprach meine Mutter mindestens bis zum Käse kein Wort mit ihm, weil sie überzeugt war, just an jenem Abend den perfekten Sonnenuntergang verpasst zu haben. In irgendeiner Kiste in Köln-Deutz müssen die dreieinhalb Millionen Sonnenuntergänge meiner Mutter noch herumliegen. Ich glaube nicht, dass sie sich auch nur einen einzigen jemals wieder angeschaut hat.)
Vermutlich wundern Sie sich jetzt ebenso, wie ich mich damals in jenem Fotogeschäft in Arles gewundert habe, was mein Peiniger plötzlich mit einer teuren Digitalkamera wollte. (Sie werden es gleich erfahren. Fürs Erste sei nur verraten: Sonnenuntergänge waren nicht sein Motiv.)
Während ich mit Abscheu die Fotos vom gestrigen Stierkampf betrachtete, die im ganzen Laden ausgestellt waren (der kleine Mexikaner sah wirklich wie Schneewittchen aus: Schwarzhaarig wie Ebenholz, weiß wie Schnee, rot wie Blut), ließ mein
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