Maedchenmoerder Ein Liebesroman
oder ob es sich nicht um irgendein anderes Aquädukt gehandelt hatte. Von dieser Unsicherheit ließ ich meinen Peiniger nichts spüren. Ich bestand darauf, dass wir in den großen Souvenirladen unten beim Parkplatz gingen und uns dort erkundigten, ob die oberste Etage der Brücke früher zugänglich gewesen sei.
Noch bevor wir das Geschäft betreten hatten, konnte ich meinem Peiniger bereits mehrere Postkarten und Poster zeigen, auf denen deutlich zu erkennen war, dass Leute ganz oben auf der Brücke und nicht nur auf der ersten Etage herumturnten. Um meinen Triumph vollständig zu machen, fragte ich eine Verkäuferin, und die bestätigte mir, dass die oberste Etage erst im Jahre 2000 geschlossen worden war. Warum, konnte sie mir allerdings nicht verraten.
Meinen Peiniger schien das Thema »oberste Etage« jedoch schon nicht mehr zu beschäftigen. Viel mehr interessierten ihn jetzt die verschiedenen Fahrten- und Klappmesser, die in einer Vitrine neben der Kasse ausgestellt waren. Obwohl einige der Messer wirklich schöne Horngriffe hatten, wurde ich äußerst nervös, als ich ihn dort stehen und mit der Verkäuferin über Vorzüge und Nachteile diverser Klingen diskutieren sah. Am Schluss entschied er sich für ein Messer, das nicht das allergrößte war, aber angeblich am schärfsten geschliffen.
Die Sonne brannte - » le soleil brille «, wie der Franzose sagen würde. (Auch so ein Kindheitssatz, den ich wohl ewig mit mir herumschleppen werde. Und alles nur, weil ich geglaubt hatte, mit dem » brille « (leuchten, strahlen,) was sich ja » brieje « ausspricht, sei der Käse gemeint, den meine Eltern oft gegessen haben, und ich es sonderbar gefunden hatte, dass die Franzosen die Sonne an hellen Tagen mit diesem weißen, weichen Käse (den ich bis heute nicht ausstehen kann) verglichen.)
Die Sonne brannte also, als wir das Geschäft verließen. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir den ganzen » Site du Pont du Gard « sofort verlassen, wären in unseren belgischen Ford gestiegen und meinetwegen in einem Rutsch bis nach Timbuktu durchgefahren. Da meine Wünsche auf dieser Reise aber keine Rolle spielten, zwang mich mein Peiniger, mit ihm noch einmal zur eigentlichen Brücke zurückzugehen - was in der Hitze, mit quietschenden Adiletten an den Füßen kein wirkliches Vergnügen war. Auf der ersten, allgemein zugänglichen Etage, die über den Fluss führte, wimmelte es vor Reisegruppen. Die meisten Leute waren alt und dick und schwitzten und wirkten, als ob sie besser in ihren klimatisierten Reisebussen oder in einem schattigen Eiscafé geblieben wären. Eine Frau schnaufte an uns vorbei, und als sie sich über die Stirn wischte, bekam ich einen Schweißtropfen ab. (Es verblüfft mich immer wieder, wie rücksichtslos die Leute im Alltag sind. Erst heute Morgen habe ich es wieder erlebt. Ich stehe mit meinem Einkaufswagen bei Edeka an der Kasse, die Büchsen mit dem Futter für Tinka habe ich bereits aufs Band gelegt, und bücke mich, um aus dem untersten Regal noch eine Tüte Lakritzschnecken zu nehmen, da rempelt mich so eine - Entschuldigung! - fette alte Kuh von hinten an, als ob ich Luft wäre. Ich richte mich auf und werfe ihr einen finsteren Blick zu, aber sie tut unverändert so, als ob es mich nicht gäbe und packt ihren - Entschuldigung! - Fressscheiß vor meinem Hundefutter aufs Band. Natürlich war es mir zu blöd, Aufstand zu machen. Aber der Kassierer hat alles mitbekommen, mir zugezwinkert und geflachst: »Nett, dass Sie die junge Frau hier vorlassen.« (Das mit der » jungen Frau « ist übrigens eine Berliner Macke, die mich anfangs ziemlich verwirrt hat - mit » junger Frau « meinen die Berliner nämlich nicht etwa Frauen in meinem Alter, sondern welche, die locker meine Großmutter sein könnten.)
Inmitten des Gewusels und Geknipses zückte jetzt auch mein Peiniger seine Kamera und führte sich auf, als ob er - (mir fällt gerade kein berühmter Fotograf ein - Robert Doisneau oder so ähnlich? Ja, ich glaube, so heißt der Fotograf, von dem ein Kalender bei meinen Eltern im Schlafzimmer gehangen hat. (Der mit dem Schwarz-Weiß-Bild, auf dem ein Mann eine Frau mitten auf dem Bürgersteig küsst? (Ich habe jetzt wirklich keine Lust, in den Internetladen rüberzugehen und den Namen nachzuschauen!))) - mein Peiniger führte sich also auf, als ob er Robert Doisneau (oder so ähnlich) höchstpersönlich wäre. Und das Allerschlimmste: Er begnügte sich nicht damit, die Steinbögen oder die
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