Maengelexemplar
Ordnung ist. Und glauben, dass alles in Ordnung ist. Bis irgendwann die Seele ihre fünfzehn Minuten Ruhm einfordert, und dann geht nichts mehr. Denn die Seele will mehr als den kleinen Finger. Sie will alles. Und bekommt alles.
So ist das mit Anna. Wir sind Seelenverwandte. Im eher negativen Sinne. Aber wir leiden zusammen und kümmern uns umeinander. Wir haben Anna einen Psychiater und eine Therapie gesucht und reden viel. Wenn Anna nicht schlafen kann, kommt sie zu mir, wenn sie Angst hat, sage ich ihr, dass das nicht schlimm ist.
Mehr kann ich nicht tun. Ich kann das nicht heilen. Ich muss lügen, denn Angst ist sehr wohl schlimm. Angst ist das Gruseligste, was mir in meinem Leben je passiert ist, und ich möchte nicht, dass sie je wiederkommt. Angst raubt einem den Atem. Man kann nicht einmal weinen. Evolutionär betrachtet, muss man angesichts einer großen Bedrohung konzentriert sein. Tränen würden einem nur die Sicht verschleiern. Man muss aber sehen können, wenn man Angst hat, denn man muss sich schnellstmöglich in Sicherheit bringen. Nur, dass man in unserem Fall nicht weg kann. Man rennt immer nur gegen die eigenen Schädelwände.
Angst ist ein monströs großes, hässliches Tier, und es kommt, und es will einen holen. Und irgendwann wird es einen holen, denn wenn man sich nicht um diese Angst kümmert, wird sie so präsent, dass man irgendwann aufgibt.
Mich um Anna zu kümmern, gibt mir eine gewisse Kontrolle zurück. Dann kann es mir ja wohl nicht so schlecht gehen. Seit Monaten hatte ich keinen Panikanfall mehr, offensichtlich bin ich so gut wie geheilt. Und jetzt ist da auch noch ein neuer Mann.
Ich treffe Anna bei Kaffee und Kuchen, und sie ist begeistert. »Ach, der soll aufhören mit diesem blöden Nicht-verlieben-Gequatsche! So, wie du das erzählst, hat der sich längst in dich verliebt!«
Na, so weit würde ich nicht gehen wollen, Anna ist manchmal etwas überenthusiastisch, aber ich freue mich über ihre Reaktion. »Egal, wie das Ganze ausgeht, Anna, weißt du, was das Tollste ist? Dass ich das Gefühl habe, dass Philipp endgültig aus mir rausgespült wird. David funktioniert wie ein Klistier. Rein mit ihm, raus mit dem Mist!«
Anna muss lachen, aber ich finde den Vergleich eigentlich ganz treffend. Ich weiß nicht, wie das alles enden wird, aber in jedem Fall wird es ohne Philipp enden. Vielleicht latsche ich direkt in den nächsten Liebeskummer, aber ich habe Lust auf alles, was neu ist. Ich bin bereit für neuen Liebeskummer! Denn Liebeskummer ist vielleicht nicht schön, aber eindeutig einzuordnen und definitiv endlich. Und das wünscht sich mein Kopf am meisten: Ordnung und ein Ende.
Am Abend ruft David an.
»Was hältst du von Gesellschaftsspielen?«, fragt er knapp, als wären wir mitten in einem Quiz.
Ich liebe Gesellschaftsspiele, aber ich bin nicht sicher, ob das die richtige Antwort ist. Da es sich hier aber auch nicht unbedingt um die berühmte Gretchenfrage handelt, kann ich es wohl riskieren, die Wahrheit zu sagen.
»Hast du Lust, rüberzukommen und mit mir zu spielen?«, fragt er.
Ich freue mich sehr. David will mich schon wiedersehen. Die vierte Nacht in Folge.
»Aber wirklich nur spielen!«, schiebt er hinterher.
Ich sage zu, bin aber ein bisschen verstimmt. Was sollte der Nachwurf? Was bedeutet
nur spielen
, wenn man seiner Bettmieze diese Einladung ausspricht? Es klingt nach
nicht, dass wir wieder in der Kiste landen!
Aber machen wir uns nichts vor, wir landen immer in der Kiste. Weil es das ist, was wir nun mal machen, was uns verbindet. Und es passiert immer in beiderseitigem Einverständnis. Und überhaupt, wenn ein Hund
nur spielen
will, dann bedeutet das doch auch immer bedrohlich mehr als das, wonach es aussieht. Ich verstehe Davids Nachsatz nicht, er schüchtert mich ein.
An seiner Tür begrüßen wir uns nicht. Jedenfalls nicht körperlich. Wir hallo-en und gagen, und schwupps sind wir ohne eine einzige Berührung in der Küche und spielen so platonisch Scrabble, wie es sonst nur Verwandte können.
Ich merke, dass meine Stimmung sinkt. Ich weiß nicht, was hier los ist. Kleine Annäherungsversuche meinerseits scheitern schon an der Lokalität. Der Küchentisch ist riesig, mit den Händen kann ich David nicht berühren, mit meinen kurzen Beinen erst recht nicht. Davids Witze sind laut und zeichnen sich sowohl durch Qualität als auch durch Quantität aus. Doch ich bin nicht in der Stimmung. Ich bin empfindlich. Ich möchte das
Wir
gerne
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