Maenner fuers Leben
zum Himmel, dass ich eines Tages Gelegenheit haben werde, diese Brücke zu überschreiten.
«Es tut mir so leid, Andy.» Ich entschuldige mich für Vergehen, von denen er noch gar nichts weiß.
Er zögert, und ich frage mich, ob er vielleicht instinktiv weiß, was ich getan habe – und vielleicht sogar, warum ich es getan habe. Stockend sagt er: «Es tut mir auch leid.»
Statt Erleichterung oder Dankbarkeit zu empfinden, bekomme ich wieder ein schlechtes Gewissen. Andy ist sicher nicht fehlerlos – das ist niemand in einer Ehe –, aber im Vergleich zu dem, was ich eben getan habe, hat ihm nichts leidzutun. Nicht der Umzug nach Atlanta. Nicht die Sache mit Ginny. Nicht sein dauerndes Golfspielen. Nicht die Missachtung, mit der er meinen Beruf behandelt. Nicht einmal seine Drohung von gestern Abend – die ich plötzlich hundertprozentig fair finde.
Ein paar gedehnte Sekunden vergehen, ehe er sagt: «Ich habe eben mit Webb telefoniert.»
Etwas sagt mir, dass dies kein Small Talk ist. «Geht es Margot gut?», frage ich.
«Ja», sagt Andy. «Aber den Geräuschen nach zu urteilen, die sie macht, ist da ein Baby unterwegs.»
Mein Herz setzt einmal aus, und meine Kehle ist zugeschnürt. «Die Wehen haben eingesetzt?»
«Ich glaube, ja», sagt Andy. «Heute Nachmittag war es falscher Alarm. Sie war im Krankenhaus, und sie haben sie wieder nach Hause geschickt. Aber jetzt sind sie wieder auf dem Weg dahin. Die Wehen liegen ungefähr acht Minuten auseinander.»
Ich schaue auf die Uhr und drücke die Daumen, dass das Baby morgen kommt. Nicht an dem Tag, an dem ich Leo geküsst habe. Das ist reine Formsache, aber im Moment nehme ich, was ich kriegen kann.
«Das ist aufregend», sage ich. Und ich bin wirklich aufgeregt – aber auch wehmütig und traurig, als ich daran denke, wie ich mir diesen Augenblick ausgemalt habe.
Plötzlich wird mir klar, dass ich Margot irgendwann in den letzten paar Stunden verziehen habe, was sie getan hat – und ich hoffe, sie wird mir eines Tages auch vergeben können. Das Leben nimmt manchmal unerwartete Wendungen, und oft durch reinen Zufall – wie in dem Moment, in dem ich Leo auf der Straße getroffen habe. Manchmal aber auch durch kalkulierte Entscheidungen, wie Margot sie getroffen hat. Oder wie ich heute Abend, als ich Leo verlassen habe. Am Ende kann man das alles Schicksal nennen, aber für mich ist es eher eine Sache des Glaubens und Vertrauens.
«Fährst du auch ins Krankenhaus?», frage ich.
«Noch nicht …» Andy spricht nicht zu Ende.
«Ich wünschte, ich wäre bei dir», sage ich und erkenne erleichtert, dankbar und überglücklich, dass es die Wahrheit ist. Ich wünschte, ich wäre bei meiner ganzen Familie.
«In Atlanta oder in New York?», fragt er trocken – und ich weiß, wenn er nicht lächelt, dann tut er es gleich.
«Egal.» Ein Taxi biegt in die Straße ein und wird langsamer, als es auf mich zukommt. Ich schaue zum Himmel hinauf und wünschte, ich könnte Sterne sehen – oder wenigstens den Mond –, und dann sehe ich, dass das Taxi angehalten hat. Die Tür geht auf, und Andy steigt aus. Er trägt genau den Anzug und die rote Krawatte, die ich vorhin vor mir gesehen habe, und dazu seinen blauen Mantel. Ein paar Sekunden lang bin ich verwirrt – auf die prickelnde Weise, die ich zuletzt als Kind erlebt habe, damals, als ich noch an Zauberei und andere Dinge glaubte, die zu schön waren, um wahr zu sein. Dann sehe ich Andys zögerndes, hoffnungsvolles Lächeln – ein Lächeln, das ich nie vergessen werde –, und ich weiß, es passiert wirklich. Es ist schön und wahr.
«Hey», sagt er und kommt auf mich zu.
«Hey.» Ich stehe auf und lächle. «Was machst du … hier?»
«Ich habe dich gesucht.» Er schaut zu mir auf und legt die Hand auf das Treppengeländer, dicht neben meine.
«Wie …?» Ich suche nach der richtigen Frage.
«Ich bin heute Abend heraufgeflogen. Ich saß schon im Taxi, als du angerufen hast …»
Die Logistik dieses Unternehmens wird mir langsam klar, und ich begreife, dass Andy ins Flugzeug gestiegen ist, um mich zu sehen, obwohl er weiß, dass er die Geburt des Kindes seiner Schwester versäumen könnte. Wieder kommen mir die Tränen, aber diesmal aus ganz anderen Gründen.
«Ich kann nicht glauben, dass du hier bist», sage ich.
«Ich kann nicht glauben, dass ich dich hier gefunden habe.»
«Es tut mir leid.» Jetzt weine ich wirklich.
«Oh, meine Kleine. Nicht», sagt er zärtlich. «Ich hätte nicht unser
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