Maenner in Freilandhaltung
der Straße und quatscht miteinander. Als ich hierhergezogen bin, habe ich Nina insgeheim beneidet. Auch wenn sie anfangs nur am Wochenende hier aufgekreuzt ist, haben sie und Daniel so glücklich ausgesehen. Eine richtig harmonische Familie, Daniel, Nina und die drei Jungs, wie aus dem Bilderbuch. Aber irgendetwas muss schiefgelaufen sein, in letzter Zeit kam mir deine Schwester ziemlich niedergeschlagen vor.«
»Weißt du zufällig, was sie so bedrückt hat?«
»Keine Ahnung.« Jette musterte mich verwundert. »So nah stehen wir uns nun wirklich nicht. Hat deine Schwester dir denn nichts erzählt?«
Um Zeit zu gewinnen, nahm ich einen tiefen Schluck aus meinem Sektglas. Ein angenehmes Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus. War es nicht viel zu riskant, Jette ins Vertrauen zu ziehen? Am Ende würde Daniel noch Wind davon bekommen, warum ich eigentlich hier war. Andererseits machte Jette auf mich nicht den Eindruck einer Tratschtante, die mit vertraulichen Informationen hausieren ging. Möglicherweise konnte sie mir sogar bei der Suche nach Ninas Nebenbuhlerin behilflich sein, und so beschloss ich, mich einfach auf mein Bauchgefühl zu verlassen. »Nina hat lediglich Andeutungen gemacht. Sie habe es satt, ständig mit einer anderen Frau konkurrieren zu müssen. Kannst du dir vorstellen, welche andere Frau sie damit gemeint haben könnte?«
»Nicht so direkt«, antwortete Jette zögernd. Ohne mich dabei anzusehen, knetete sie hochkonzentriert die Hackfleischmasse. Plötzlich keimte ein schrecklicher Verdacht in mir auf. Was, wenn Jette die Frau war, die meiner Schwester so viel Kummer bereitete? Ich hätte es Daniel nicht einmal verübeln können, wenn Jette ihm gefallen würde. Sie war sympathisch, attraktiv, intelligent und, wie sie vorhin selbst gesagt hatte, Single. Sogleich schämte ich mich jedoch für diesen Gedanken. Jette war einfach nicht der Typ, der anderen Frauen den Mann ausspannte. Andererseits – was machte mich da so sicher? Bekanntlich konnte der erste Eindruck leicht täuschen. Außerdem trug Ninas Nebenbuhlerin wohl kaum ein Schild mit der Aufschrift »Ehebrecherin« oder »Schlampe« um den Hals. Ich wünschte mir jedoch von ganzem Herzen, dass es nicht Jette war.
In diesem Moment sah Jette von ihrer Arbeit auf und erwiderte meinen Blick unbefangen. Wie zum Beweis, dass meine Verdächtigungen völlig hirnrissig waren, schlug sie vor: »Frag deine Schwester doch einfach.«
Ich verdrehte die Augen. »Können vor lachen. Sie hat keine Nachricht hinterlassen, wo sie hin ist. Und ihr Handy hat sie auch nicht mitgenommen.«
Kein Wunder, dass ich Nina nie erreicht hatte! Als ich am Vortag zum x-ten Mal versucht hatte, meine Schwester anzurufen, hatte ich aus Daniels und Ninas Schlafzimmer plötzlich leise Musik gehört. Ich war der Melodie gefolgt, und siehe da: Auf Ninas Nachttisch lag ihr iPhone. Entweder hatte sie es bei ihrem überstürzten Aufbruch dort vergessen, oder sie hatte absichtlich jeden Kontakt zur Außenwelt abgebrochen. Ich tippte auf Letzteres. Wenn es sogar hier, mitten im Nirgendwo, Telefon gab, war schwer davon auszugehen, dass Nina – wo immer sie sich auch gerade aufhielt – keine Möglichkeit gefunden hätte, sich bei mir zu melden. Doch bislang wartete ich vergeblich auf ein Lebenszeichen. Kein Anruf, keine Nachricht, nichts. Langsam begann ich mir wirklich Sorgen zu machen. Da Jette die Wahrheit über Ninas plötzliches Verschwinden nun ohnehin kannte und ich froh war, mich endlich jemandem anvertrauen zu können, erzählte ich ihr auch noch von Daniels nächtlichem Traum und von meinem Job als Männernanny.
»Oh mein Gott!« Jette sah entsetzt aus. »Da hat dir deine Schwester aber ganz schön was aufgebrummt. Als wäre es nicht schon schwer genug, die drei kleinen Jungs zu hüten ... Und du tappst, was Daniels Traumfrau betrifft, tatsächlich völlig im Dunkeln?«
»Nicht ganz. Ich hab da so eine Ahnung. Oder genauer gesagt habe ich sogar zwei Frauen im Visier: zum einen unsere Nachbarin ...«
»Vicky?«, unterbrach mich Jette und machte mit der Hand eine wegwerfende Geste. »Vergiss es! Um Vicky brauchst du dir wirklich keine Gedanken zu machen. Die ist harmlos.«
Schön zu hören. Aber wer zum Geier war Vicky?
Während ich noch überlegte, ob Daniel oder einer der Jungs den Namen mir gegenüber schon mal erwähnt hatte, fuhr Jette fort: »Vickys Mann gondelt oft wochen- oder monatelang geschäftlich in der Weltgeschichte herum, und die Arme langweilt
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