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Maenner in Freilandhaltung

Maenner in Freilandhaltung

Titel: Maenner in Freilandhaltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Thewes
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untersetzte Person mit feisten Pausbäckchen, durchlebte offenbar gerade eine Metamorphose zum Pudel, denn sie bekam unzählige kleine Lockenwickler ins Haar gedreht.
    Die Friseurin bat mich, schon mal Platz zu nehmen, und ich nutzte die Wartezeit, um mich ein wenig umzusehen. In der Ecke des Ladens entdeckte ich eine Trockenhaube, die aussah wie ein altersschwaches, dringend überholungsbedürftiges Ufo, und von den Wänden sprang mich eine Tapete im Siebzigerjahredesign an. Fast schon wieder kultig, hätte über all dem nicht der Mief längst vergangener Zeiten und saurer Dauerwellen geschwebt. Vermutlich bezahlte man hier seinen Haarschnitt noch in D-Mark.
    So unbehaglich hatte ich mich lange nicht gefühlt. Ich rutschte auf meinem Stuhl herum und knabberte nervös an meiner Unterlippe. Insgeheim fragte ich mich, ob der Friseurbesuch wirklich so eine gute Idee gewesen war. Mit prüfendem Blick begutachtete ich mein Spiegelbild. Meine halblangen Haare, die sonst gerne mal ein bisschen durchhingen, lagen heute, obwohl ich keinen Handschlag daran getan hatte, leicht und fluffig. Auch der seidige Glanz, den ich zu erkennen glaubte, war bei meinen Haaren keineswegs normal, ganz zu schweigen von diesem goldenen Schimmer ... Je länger ich in den Spiegel schaute, desto sicherer war ich mir: Noch nie hatte meine Frisur so perfekt ausgesehen! Das typische Zahnarztphänomen. Sobald ich auf dem Behandlungsstuhl Platz nehme, sind meine Schmerzen auch immer sofort wie weggeblasen.
    Soll ich vielleicht einfach wieder aufstehen und gehen, überlegte ich unschlüssig. Den Topf auf dem Herd oder die Kinder im Supermarkt vergessen – um Ausreden war ich nie verlegen. Ach was, nur ein bisschen Spitzenschneiden – dabei konnte doch eigentlich nicht so viel schiefgehen, oder? Doch Gaby, wie sich die Friseurin, die mit dem Aufdrehen der Pudeldauerwelle endlich fertig war, vorstellte, wollte mich nicht so leicht davonkommen lassen.
    »Die Strähnchen müssten auch dringend mal wieder aufgefrischt werden.«
    Ich senkte den Kopf, um im Spiegel einen Blick auf meinen Scheitel zu erhaschen. Offenbar hatte Gaby das als zustimmendes Nicken interpretiert. Denn bevor ich sie daran hindern konnte, verschwand sie im Hinterraum, von wo sie kurze Zeit später mit einem Töpfchen Farbe in der einen und einem Pinsel in der anderen Hand wieder auftauchte. Ergeben ließ ich mir einen lilafarbenen Schlabberlatz umbinden. Na schön, dann eben Spitzenschneiden und Strähnchen. Ich war einfach nicht in der Verfassung, mich schon wieder zu streiten, und ließ Gaby gewähren.
    Das Ergebnis erinnerte stark an einen Alien. Was an und für sich aber noch kein Anlass zur Besorgnis war, denn mit Dutzenden Antennen aus Alufolie auf dem Kopf sah man zwangsläufig ziemlich bescheuert aus. Die Ufo-Trockenhaube, die Gaby mir kommentarlos über den Kopf stülpte, vervollständigte das Bild. Während die Farbe einwirkte, blätterte ich, um mich abzulenken und nicht erneut ins Grübeln zu geraten, in einer Illustrierten. Ich rechnete damit, eine mehrseitige Fotostrecke über Prinzessin Dianas und Prinz Charles’ Hochzeit oder die Erfolgsgeschichte eines siebzehnjährigen rothaarigen Tenniswunderknaben, der zum ersten Mal Wimbledon gewonnen hatte, vorzufinden, aber im Gegensatz zum sonstigen Interieur war die Zeitschrift erstaunlich aktuell. Einige Artikel wie etwa »Rank und schlank in drei Tagen« klangen keineswegs uninteressant, doch leider hatte ich Mühe, mich zu konzentrieren, da die beiden anderen Kundinnen in einer Tour quasselten. Ich versuchte auf Durchzug zu schalten, doch als plötzlich Ninas Name fiel, horchte ich auf.
    »Ich glaube nicht, dass Nina zur Kur gefahren ist«, erklärte die Kundin mit dem Handtuchturban auf dem Kopf gerade mit sorgenvoller Miene.
    »Ich bin ganz deiner Meinung.« Die Frau in dem Stuhl neben ihr nickte so heftig, dass ich befürchtete, ihr würden die Lockenwickler vom Kopf springen. »Wenn du mich fragst, hat Nina den armen Daniel einfach sitzen lassen. Vier Wochen vor ihrem Verschwinden hat sie in der Buchhandlung sechs Romane gekauft. Allesamt dicke Wälzer, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß. Also bitte, welche Frau mit drei Kindern hat so viel Zeit zum Lesen?!« Sie senkte verschwörerisch die Stimme. »Offenbar hat Nina von langer Hand geplant, Daniel und die Kinder zu verlassen.«
    Wie bitte?! Die Dämpfe der Dauerwelle hatten der Trulla wohl das Gehirn vernebelt! Anders konnte ich mir diese abstrusen

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