Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Bastian Kreuzers immer noch leicht untersetzte Figur.
»Alles Muskeln«, erklärt der Hauptkommissar grinsend und beginnt vorsichtig zwischen den Wagen und der nicht sehr stabil wirkenden Außenabsperrung entlangzugehen. Ab und an fehlen die Seitenwände völlig, und nur im Fahrtwind vibrierende Seile begrenzen die Waggons. Der Einweiser ist Bastian Kreuzer anfangs dicht auf den Fersen, bleibt aber bald ein wenig zurück. Während die beiden Wagen für Wagen abklappern, Porsches und sogar 7er-BMWs scheint es erheblich häufiger zu geben als die Hybrid-Limousinen von Lexus, rutschen jenseits des Zuges die Outlets und Supermärkte vorbei, die sich in den letzten Jahrzehnten entlang der Trasse angesiedelt haben. Und aus den Innenräumen der Wagen folgt ihnen manch erstaunter Blick. Aber selbst auf die vereinzelten Fragen, die die Fahrer mit den noch offenen Fenstern ihm hinterherrufen, gibt Bastian keine Antwort. Nur als er sieht, dass durch die Heckscheibe eines dicken Mercedes drei Paar große runde Kinderaugen jede seiner Bewegungen beobachten, zwinkert Bastian den Kindern kurz zu. Dann eilt sein Blick weiter die schier endlos scheinende Reihe der Fahrzeuge entlang auf der Suche nach einer silbergrauen Lackierung.
Doch der gesuchte Wagen scheint nicht in Sichtweite zu sein. Und der Zug wird immer schneller. Bastian fällt in einen Laufschritt, was gar nicht so einfach ist auf den wackligen Planken des Autozuges. Prompt verwarnt ihn ein Ruf seines Begleiters. Aus voller Kehle muss der Autoeinweiser gegen den Fahrtwind anschreien.
»Seien Sie bloß vorsichtig, Mann, sonst fegt es Sie da hinten aus der Kurve!«
Die Warnung kommt keine Sekunde zu früh. Der Waggon legt sich zwar nur leicht in die Biegung, aber die Fliehkräfte sind nicht zu unterschätzen. Bastian Kreuzer rutscht weg und verliert das Gleichgewicht. Ausgerechnet hier fehlen die festen Seitenwände, und Bastian spürt noch, wie er gegen die Seile gedrückt wird, dann klappt sein Körper zusammen. Kopf und Brust hängen jenseits der Absperrung, nur der Unterkörper befindet sich noch innerhalb des Waggons. Als seien sie sehr weit entfernt, hört Bastian einzelne Schreie aus den geparkten Autos dringen. Unter ihm rattern die metallenen Räder, der Wind zerrt an seiner Kleidung, die Abendsonne versieht die Szene mit gespenstisch langen Schatten. Bastian Kreuzer versucht sich aufzurichten, ohne dabei die Balance zu verlieren. Etwas zum Festhalten wäre jetzt hilfreich, aber die Hände des Kommissars greifen ins Leere, das wackelige Seil ist keine wirkliche Hilfe und die Fliehkraft zieht ihn nach außen. Bastian spürt, wie er langsam die Bodenhaftung verliert. Mit einem Ruck wirft er den Oberkörper nach hinten, schlägt mit dem Kopf an einen Querbalken und knallt unsanft auf den Boden des Waggons. Im gleichen Augenblick ist noch einmal die Stimme des Fahrzeugeinweisers zu hören. Der Wind und das Rauschen des Zuges schlucken seine Worte fast, aber er brüllt mit ganzer Kraft und sich überschlagender Stimme gegen das Rumpeln und Rattern an.
»Hinter Ihnen. Der Pfosten. Halten Sie sich dadran fest, um Himmels willen!«
Bastian weiß genau, wenn er versucht sich zu drehen, wird das seine Lage noch instabiler machen. Er liegt jetzt schon ganz am Rand des Waggons fast unter den Stahlseilen. Sein Kopf hängt auf der Bodenkante, und die Kiesel und Steine, die die Bahntrasse zwischen und neben den Schienen füllen, scheinen zum Greifen nah zu sein. Es wäre nur eine winzige Verlagerung seines Körpergleichgewichts nötig, und er würde endgültig vom Autozug rutschen.
Bastian krallt die Finger in die Metallroste des Bodens. Scharf schneidet das Material in seine Haut, Blut rinnt über Eisen und tropft zwischen den Streben hindurch. Bastian schließt für einen Moment die Augen. Er will sich konzentrieren, um bei der kommenden Aktion nicht danebenzugreifen, doch stattdessen denkt er an Silja. Ihre Stimme füllt plötzlich seinen Kopf.
Wenn wir den Fall gelöst haben …
Und jetzt ist der Fall drauf und dran ihn zu killen – aber so weit darf er es nicht kommen lassen.
Vorsichtig dreht er den Kopf, bis der Pfosten, der den oberen Teil des Autozuges trägt, am Rand seines Blickfeldes erscheint. Es sind 50 Zentimeter, vielleicht auch sechzig, die seine Schulter von dem Pfosten trennen. Wie lang ist ein menschlicher Arm? Bastian weiß es nicht. Vermutlich wird er ein Stück nach hinten robben müssen, um sicher nach dem Pfosten greifen zu können. Der
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