Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
hat schließlich mit ihrem Leben gespielt. Nach allem, was sein Patient ihm erzählt hat, war sie ungeheuer provokant. Kein Wunder, wenn da einer plötzlich ausrastet. Bestimmt wird man Hubert Mönchinger verdächtigen. Ihm doch egal. Dumm nur, dass er selbst so blöd gewesen ist, in der Mordnacht an Mönchingers Tür zu klingeln.
Aufmerksam liest Manfred Pabst den Artikel von vorn bis hinten. Nein, von ihm ist dort nicht die Rede, zum Glück. Allerdings scheint die Tote bisher nicht identifiziert worden zu sein, denn auch von Hubert Mönchinger ist in dem gesamten Bericht nicht einmal die Rede. Dann war die rote Teufelin also auch nicht Mönchingers Ehefrau. Hat er sich ja gleich gedacht!
Dazu passt auch, dass man weder Namen noch Herkunft der Toten kennt. Wer sachdienliche Hinweise habe, der möge sich umgehend melden. Jede Polizeidienststelle nähme diese entgegen.
Von mir erfahrt ihr nichts, denkt Pabst und steckt sich eine Zigarette an. Wäre ja noch schöner, wenn ich euch auf die Spur von dem geschundenen Mönchinger und dieser fusselig mausgrauen nächtlichen Erscheinung setze, die mir tragischerweise die Tür geöffnet hat. Meinetwegen kann die Rothaarige auch gern unidentifiziert bleiben. So werde ich zwar nie erfahren, wie Mönchinger sie dazu gekriegt hat, nackt neben seinem Wagen zu posieren, aber immerhin bleiben mein guter Ruf erhalten und mein Leumund unbefleckt.
Samstag, 18 Juni, 14.20 Uhr,
Kriminalkommissariat Westerland
Hauptkommissar Bastian Kreuzer betritt das Backsteingebäude der Westerländer Polizei mit energischen Schritten und verzichtet sogar auf den üblichen Smalltalk quer über den Tresen mit den uniformierten Kollegen, die in der unteren Etage die Stellung halten. Stattdessen grüßt Bastian nur kurz und verschwindet dann in seinem Büro im ersten Stock. Die Kollegen wundern sich kaum über dieses ungewöhnliche Verhalten. Seit einem Jahr hat es keinen Mord mehr auf der Insel gegeben, und im Grunde genommen erwarten sie noch viel mehr Geschäftigkeit von der Mordkommission, als nur den Auftritt des Chefs am späten Samstagmittag.
Was sie nicht wissen ist, dass es immer noch so gut wie keine Anhaltspunkte gibt. Nachdem Bastian die Bürotür hinter sich geschlossen hat, bleibt er erst einmal mit hängenden Armen mitten im Raum stehen. Stickig und heiß ist es hier, und auch ein zügig geöffnetes Fenster schafft kaum Abhilfe. In der Kaffeemaschine steckt immer noch der Filter vom Freitag, und als Bastian ihn im Müll entsorgt, scheint es ihm, als sei dies ein Sinnbild für die Ermittlungen im Fall der toten Rothaarigen.
Niemand will die Frau gekannt haben, ein Umstand, den es quasi gar nicht gibt. Trotz der spektakulären Meldung in der Tagesschau, trotz der riesigen Aufmacher der Lokalzeitungen sind bisher noch keine Meldungen zur Identität des Opfers eingegangen. Das hat man sonst nur bei toten Obdachlosen. Aber diese Frau war nicht obdachlos. Sie wirkte gepflegt und in keiner Weise verwahrlost. Ihre Zähne waren in Ordnung, Achsel- und Schamhaare sorgfältig rasiert und die Augenbrauen frisch gezupft. Sie muss ein funktionierendes soziales Umfeld gehabt haben. Nachbarn und Arbeitgeber. Vielleicht eine Kosmetikerin oder eine Supermarktverkäuferin, mit der sie ab und an ein Wort wechselte. Einen Tankwart oder einen Zeitungshändler, der sie kannte. Irgendwer wird sich doch wohl an ihre alles andere als unauffällige Erscheinung erinnern können. Sollte man jedenfalls meinen.
Ist aber nicht so.
Wer also war die Tote? Nicht nur die aktuellen, auch die Fälle der letzten Jahre sind längst überprüft. Bastian schaufelt großzügig frisches Kaffeepulver in den neuen Filter. Eigentlich ist die Schlussfolgerung klar: Entweder die schöne Tote ist eine Touristin aus dem Ausland, die einfach noch nicht vermisst wird, weil bei ihr zu Hause alle denken, sie genieße unbeschwert ihren Urlaub. Oder es ist eine Illegale, die ohne Genehmigung auf der Insel arbeitet.
Die Touristinnenoption hält Bastian für wenig wahrscheinlich. Sylt ist ein Eldorado für deutsche Urlauber, lediglich die Schweizer aus Zürich, Bern und Basel sind zusätzlich vertreten. Aber für fast alle Urlauber gilt, dass sie mit der Familie anreisen. Häufig kommen gleich mehrere Generationen. Eltern, Kinder, Großeltern und die süßen kleinen Enkel. Alle passen ins eigene Ferienhaus, oder man mietet eben zwei oder drei Ferienwohnungen nebeneinander. Urlaub auf Sylt heißt für viele, dass sich der ganze Clan
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