Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Westerland
Weinend steht Marga Mönchinger unter der prasselnden Dusche der Eigentumswohnung im 11. Stockwerk des Apartmentkomplexes im Zentrum von Westerland. So hässlich die drei Gebäude aus den sechziger Jahren von unten betrachtet auch aussehen, der Blick, den man aus den oberen Etagen auf die Insel hat, ist phänomenal. Je nach Lage der Wohnung kann man den endlosen weißen Strand von Wenningstedt bewundern oder hinüber bis nach Keitum auf der Ostseite der Insel sehen.
Das Badezimmer, in dem Marga Mönchinger sich gerade aufhält, bietet allerdings keinen dieser Ausblicke. Es ist fensterlos und nur durch zwei grelle Neonröhren erleuchtet. Die hellblauen Fliesen an den Wänden sind stellenweise angeschlagen, und die Fugen weisen Schimmelspuren auf. Auch die Duscharmatur ist nicht neu. Abplatzender Chrom an Hähnen und Brause zeugt von jahrelangem Gebrauch.
Während Margas Körper unter dem viel zu heißen Wasser langsam die Farbe ihrer kupferroten Kopfhaare annimmt, rutschen die fein gekräuselten Achselhaare mit dem Duschstrahl über Hüften, Beine und Füße, drehen eine letzte strudelnde Runde über dem Ausguss, um anschließend auf Nimmerwiedersehen durch die fünf kreisförmig angeordneten Löcher zu verschwinden. Es kommt Marga Mönchinger vor, als beraube man sie ein zweites Mal ihrer Jungfräulichkeit, denn noch nie in ihrem kurzen Leben hat sie die ohnehin spärlich wachsenden Achsel- oder Schamhaare rasiert.
Nicht, dass es ihr nicht wiederholt nahegelegt worden wäre.
Aber immer hat sie widerstanden, es war ihr ganz persönlicher Kampf gegen die Männer und deren Besitzansprüche an ihren Körper. Doch jetzt kann sie nicht mehr kämpfen, man hat ihr alle Waffen genommen.
Seit der letzten Nacht ist sie nicht mehr Herrin ihrer selbst.
Resigniert legt Marga Mönchinger den Einwegrasierer zur Seite. Kurz hat sie darüber nachgedacht, die Klinge herauszunehmen und Hand an sich zu legen, aber so weit ist es noch nicht. Neben der Angst, die sie vor dem Kommenden hat, spürt sie durchaus auch Wut. Und Marga Mönchinger beschließt, erst aufzugeben, wenn diese Wut sich erschöpft haben sollte. Mit einem scheuen Blick streift sie wohl zum hundertsten Mal die gefliesten Wände der Duschkabine. Kaltes Blau giftet zurück. Der Schimmel wächst sich zu hässlich wuchernden Pilzen aus und die Sprünge in den Fliesen fügen sich wie Spinnennetze zusammen.
Marga Mönchinger stellt die Dusche aus.
Samstag, 18. Juni, 20.32 Uhr,
Söl’ring Hof , Rantum
»Auf unsere Freundschaft.«
Judith Lissen hebt ihr Weinglas und stößt es leicht an Siljas. Ein feiner Ton erklingt, und die drei Geschäftsmänner am Nebentisch werfen neugierige Blicke auf die beiden attraktiven Frauen. Natürlich würde niemand es wagen, sie hier anzusprechen, schließlich sitzen sie in einem der besten Restaurants von Sylt. Als Judith die Freundin vom Beifahrersitz ihres Autos aus nach Rantum dirigierte und ihr dann den Weg zu dem kleinen, aber sehr feinen Hotel Söl’ring Hof gewiesen hat, das direkt in den Rantumer Dünen steht, ist Silja überrascht gewesen. Sicher, Judiths Kleidung war immer ausgesucht und bestimmt nicht ganz billig, aber ein Abendessen in einem Zwei-Sterne-Restaurant schien ihr doch erheblich über dem Budget einer durchschnittlichen Studentin zu liegen.
»Diese Einladung beschämt mich ein bisschen«, sagt Silja leise.
»Muss sie nicht. Ich will einfach nur, dass wir beide einen wirklich schönen Abend haben, und glaub mir, wenn ich’s mir nicht leisten könnte, säßen wir nicht hier.«
Judiths Geste umfasst den lang gezogenen Speiseraum mit seinem einfachen, aber stilvollen Mobiliar. Bequeme Polsterstühle und einige Bänke aus dunklem Holz stehen an weiß gedeckten Tischen. Die schmalen Wandborde zwischen den Fenstern sind von ebenso schlichten wie exquisiten Blumenarrangements geschmückt, die den Blick nicht allzu lange von der prachtvollen Aussicht ablenken. Denn direkt unter den Fenstern liegt das Meer im abendlichen Sonnenlicht. Einzelne Strandläufer flanieren über den feinen Sand, ein Hund tollt in den anrollenden Wellen, und ein später Schwimmer krault dem Horizont entgegen.
Silja wendet sich vom Fenster ab und blickt quer durch den langen Raum zu der offenen Landhausküche hinüber, in der der Hausherr Johannes King mit seinem Team für alle Gäste sichtbar das abendliche Menü zubereitet.
»Warst du schon öfter hier?«, will sie von der Freundin wissen.
Judith nickt, und Silja wartet auf
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