Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
geifernde Stimme hinter dem Abzug ihre höhnischen Worte ausspucken. Wenn das keine Warnung war. Aber andererseits: Was soll’s, er hat es schließlich überlebt. Und Jens-Uwe Behrmann ist bestimmt kein Schwerstkrimineller, sondern nur ein schwer alkoholkranker Selbstüberschätzer. Und die Gelegenheit, einen von allen als charismatisch beschworenen Politiker abstürzen zu sehen, kommt bestimmt so schnell nicht wieder.
Mit einer entschiedenen Geste hebt Fred die Hand und ordert einen doppelten Cognac. Jens-Uwe Behrmann nickt befriedigt.
»Und ich dachte schon, Sie halten das tatsächlich durch«, ist alles, was er zu Freds Entschluss sagt, bevor er wieder zum Glas greift.
Mittwoch, 22. Juni, 23.15 Uhr,
Kurzentrum Westerland
Marga Mönchinger kann nicht mehr schlucken, ihre Kehle ist trocken, ihr Mund auch. Die Gelenke in den Handschellen sind so dick aufgequollen, dass das Metall auch ohne jede Bewegung schmerzhaft zu spüren ist. Längst hat Marga jedes Zeitgefühl verloren. Draußen ist es dunkel, aber wie lange schon? Sind es zehn Minuten oder drei Stunden, die sie jetzt wieder allein hier liegt? Seit das Licht gelöscht wurde, erscheinen an der Zimmerdecke über ihrem Kopf immer die gleichen Muster: Kreise und völlig schiefe Vierecke in grellen Farben. Margas Augen brennen, aber sie traut sich nicht, sie zu schließen. Denn was wäre, wenn plötzlich die Tür aufginge und sie es nicht sofort bemerken würde? Vielleicht wäre es sogar besser, überlegt sie jetzt. Vielleicht wäre jede Sekunde, in der sie die Rasierklinge nicht sehen muss, diesen irren Blick nicht ertragen muss, eine gewonnene Sekunde. Vielleicht könnte sie mit geschlossenen Augen sogar die brennenden Schmerzen vergessen und die vielen winzigen Verletzungen, deren Blut längst getrocknet ist und krustig auf ihrer Haut klebt.
Marga Mönchinger möchte nichts sehnlicher als weinen, doch auch das kann sie nicht mehr. Weder über ihr eigenes Schicksal noch über ihre unglaubliche Dummheit, die sie tatsächlich freiwillig hierher zurückgeführt hat. Warum konnte sie nicht mit den 2000 Euro zufrieden sein? Warum sollten es ausgerechnet 7000 werden?
Jetzt schließt Marga Mönchinger doch die Augen.
Aber der einen Frage, die sie seit Stunden quält, kann sie damit nicht entkommen: Wird sie ihre Geldgier mit dem Leben bezahlen müssen?
Donnerstag, 23. Juni, 05.02 Uhr,
Drosselstieg, Westerland
Silja Blanck dreht sich mit einer entschiedenen Gebärde im Bett. Sie wendet Bastian Kreuzer jetzt den Rücken zu und spricht gegen die Wand seines Schlafzimmers.
»Du bist echt das Letzte. Erst jammerst du so lange herum, bis ich ein Einsehen habe und zu dir zurückkomme, und dann versagst du beim Sex. Ist dir eigentlich nicht klar, dass ich immer nur das von dir gewollt habe? Du kannst dir doch unmöglich einbilden, dass ich auf dein runtergekommenes Äußeres abgefahren bin. Oder denkst du vielleicht, es waren diese Softiesprüche, die du plötzlich herausgekramt hast und von denen jeder so abgestanden war wie der muffige Qualm, der gerade aus deinen Sportschuhen steigt, die du freundlicherweise direkt neben dem Bett postiert hast?«
Bastian Kreuzer öffnet den Mund, um irgendetwas gegen die unfairen Anschuldigungen vorzubringen, aber es kommt nur übel riechender Bieratem heraus. Verwirrt haucht Bastian in die eigene Hand. Er putzt sich doch immer die Zähne, bevor er mit einer Frau ins Bett geht, wie oft hat sich Silja schon darüber lustig gemacht. Überhaupt Silja. Wo ist sie eigentlich abgeblieben? Bastian sieht sich um. Silja ist nicht da. Natürlich nicht. Er hat sie sich herbeigeträumt. Das kommt schon mal vor. Nur dass sich die geträumte Silja so entschieden gegen ihre unfreiwillige Vereinnahmung wehrt, das ist neu für Bastian. Und er ist geneigt, es für ein ganz schlechtes Zeichen zu halten.
Bastian blickt auf sein Handy, das wie immer griffbereit neben dem Bett liegt. Es ist kurz nach fünf, und er fühlt sich hellwach. Leider macht das Fitnessstudio erst um sechs auf, aber wenn er jetzt aufsteht und vielleicht einen kleinen Morgenspaziergang dorthin unternehmen würde, wäre die Zwischenzeit gut genutzt. Und ein wenig frische Luft wird ihm gut tun. Das Nachdenken soll durch Sauerstoffzufuhr zuweilen erheblich erleichtert werden, auch die Qualität der logischen Schlüsse soll zunehmen. Ein Phänomen, das Bastian Kreuzer jetzt gut gebrauchen kann, denn er muss heute früh eine Entscheidung fällen. Nicht aus übertriebener
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