Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
verstehen was von Marketing, das muss man denen lassen.«
Fred nickt stumm und denkt sich seinen Teil. Zum Beispiel fragt er sich gerade, ob Behrmann selbst wirklich so ein Marketing-Genie ist, wie er immer angenommen hat. Ein Politiker, der als Erstes über Alkohol redet? Geht eigentlich gar nicht. Und trotzdem tut Behrmann es. Fred nippt an seinem Wasser und lehnt sich zurück.
Das Restaurant ist nur zur Hälfte gefüllt, es besteht aus mehreren kleinen Räumen, die verwinkelt ineinander übergehen. Zudem hat man ihnen einen Tisch in einer Nische gegeben, der von den anderen Gästen kaum zu beobachten ist. Fred Hübner ist sich sicher, dass Jens-Uwe Behrmann extra darum gebeten hat. Der Abend verspricht interessant zu werden.
Nachdem Behrmann zu Vor- und Hauptgang noch mehrere Glas Wein getrunken hat und beide mit dem üblichen Vorgeplänkel fertig sind, beginnt Fred, die interessanten Fragen zu stellen. Warum sind Sie nach dem Jurastudium in die Politik gegangen? Was sagt Ihre Frau dazu? Leben Sie auch privat nach den Maximen der ökologischen Nachhaltigkeit, die Sie öffentlich so lautstark postulieren?
Routiniert entwirft Behrmann das Bild seiner Vorzeigefamilie, die ihn in allem unterstützt. Ebenso routiniert beschreibt er seinen Weg vom Wald- und Wiesenpolitiker, wie er sich in seinen Anfängen selbst nennt, zum Ökologie- und Nachhaltigkeits-Spezialisten.
»Sie müssen wissen, dass ich hier meine Berufung gefunden habe. Deshalb interessiere ich mich auch so für Ihr Projekt. Ich will«, er sagt tatsächlich ich will , »dass alle Welt weiß, wie sehr dies mein Thema ist. Schreiben Sie darüber, schreiben Sie ausführlich darüber, damit die Menschheit davon erfährt.«
Alle Welt? Die Menschheit? Hat der Typ vielleicht einen an der Waffel, und ich bin der Erste, der das bemerkt, überlegt Fred gerade, als Behrmann einen Gang herunterschaltet. Wahrscheinlich ist ihm trotz seines mittlerweile beträchtlichen Alkoholpegels aufgefallen, dass er es ein wenig übertrieben hat. Darum greift er jetzt noch einmal zu der politischen Allzweckwaffe, der Beschwörung seiner harmonischen Familienverhältnisse.
»Ohne meine Frau wäre ich gar nichts. Das dürfen Sie so natürlich nicht schreiben«, vertraulich fasst er Fred am Arm. »Aber wie wichtig meine Frau und die Kinder für meinen emotionalen Rückhalt sind, das sollten Sie schon herausstreichen.«
»Sie wohnen ja auch sehr idyllisch auf dem Land, oder?« Vergnügt gibt Fred dem Affen Zucker.
»Ja, super idyllisch. Rings um unser Haus sind nur Wiesen und Felder, die Lütten sehen nichts als Natur, wenn sie das Haus verlassen. Sie wachsen gewissermaßen im Paradies auf.«
Nicht ohne innere Befriedigung stellt Fred Hübner fest, dass Jens-Uwe Behrmanns Artikulation bereits zu wünschen übriglässt. Der Politiker sagt idyllich und paradiesich, außerdem senkt er die Stimme am Ende jedes Satzes so weit, dass die letzten beiden Worte praktisch nicht mehr zu verstehen sind. Wenn sich Fred jemals vor den Folgen des Alkoholkonsums geekelt hat, dann tut er das jetzt. Der angesehene Politiker, der ihm gegenübersitzt, verwandelt sich von Minute zu Minute mehr in einen Popanz, ein lächerliches Abziehbild seiner öffentlichen Figur. Diese Erkenntnis fasziniert Fred Hübner, und es reizt ihn unglaublich, die Situation auf die Spitze zu treiben. Er weiß genau, er könnte es. Es fehlt nicht viel, und der allseits geachtete und beliebte Politstar Jens-Uwe Behrmann wird sich heute Abend gemeinsam mit dem bekannten Journalisten Fred Hübner sinnlos betrinken. Und dies aus Gründen, die Fred Hübner vollkommen schleierhaft sind, die er aber sehr gern erfahren würde. Außerdem wäre eine solche Aktion nicht der schlechteste Beginn für eine Männerfreundschaft. Und sicher ein ertragreicher Auftakt für die Abfassung einer Biographie, die vielleicht doch nicht nur eine Lobeshymne werden würde.
Es gibt nur ein Problem bei der ganzen Sache. Fred Hübner müsste mitziehen. Wenn er weiterhin beim Wasser bleibt, dann wird dieser Behrmann vielleicht noch einen Eiswein zum Dessert nehmen, danach unter Umständen noch einen Digestif kippen und dann die Fliege machen. Allein weitersaufen kann er nämlich auch zu Hause.
Fred schließt kurz die Augen und erinnert sich an seinen letzten Absturz. Der liegt jetzt fast ein Jahr zurück und hätte ihn um ein Haar das Leben gekostet. Manchmal sieht er nachts im Traum diese unglaubliche blau-silberne Knarre noch vor sich und hört die
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