Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
triumphieren. Er, der große Journalist Fred Hübner, wird wieder ein vielbeachtetes und hochgelobtes Buch schreiben. Eine Enthüllungsbiographie über den noblen und ehrbaren Öko-Politiker Jens-Uwe Behrmann, hinter dessen glanzvoller Fassade sich ein jämmerliches Stück Scheiße verbirgt, das nur noch im Alkohol Trost findet.
Zufrieden grunzend dreht sich Hübner trotz seiner mörderischen Kopfschmerzen im Sand um, bis er auf der Seite liegt. Mühsam hievt er einen Arm unter dem Körper hervor und winkelt ihn an. Mit dem zugehörigen Knie tut er das Gleiche. Denn auch wenn er zurzeit nicht ganz Herr seiner Sinne ist, eines weiß Fred Hübner sehr genau: Die stabile Seitenlage ist immer noch das Beste, wenn man nicht im Schlaf an der eigenen Kotze ersticken will.
Donnerstag, 23. Juni, 05.38 Uhr,
Weststrand, Westerland
Der Wind auf der Strandpromenade treibt die frische Seeluft in Bastian Kreuzers Lungen. Die Böen sind nicht allzu stark und kommen direkt von Norden, was einen schönen sonnigen Tag verspricht. Bastian atmet tief ein, hält die Luft lange und lässt sie dann nur langsam entweichen. Wie gut das tut. Frei atmen, nichts sehen außer Sand, Strandkörben, Meer und der völlig leeren Betonpromenade unter seinen Füßen. Noch einen Atemzug nimmt Bastian und dann noch einen. Er weiß genau, dass die frühmorgendliche Erfrischung vorhalten muss, denn im Fitnessstudio ist die Luft meist abgestanden und schweißgeschwängert. Und sobald er im Büro angekommen sein wird, kann von Entspannung ohnehin nicht mehr die Rede sein.
Wenn Hubert Mönchinger erst einmal gestanden hat, wird die ganze Polizeimaschinerie anlaufen. Genug Arbeit für zwei. Und nicht nur das. Auch für Silja sollte durchaus noch etwas übrig bleiben. Gestern Abend hat sie schon signalisiert, dass es ihr besser geht und dass sie direkt nach ihrem Bremen-Abstecher so schnell wie möglich zurückkommen wird. Und wenn dieser Mönchinger dann endlich eingebuchtet und der Fall abgeschlossen sein wird, dann wird er sich mit Silja aussprechen. Er wird energisch auf einem Date bestehen, und er wird es bekommen. Einen Traum wie den von heute Morgen tut er sich nicht noch einmal an. Das hält auf Dauer auch das stärkste Ego nicht aus.
Vor Bastian liegt der Abgang zum Strand. Noch ist die Bude des Kurkartenkontrolleurs unbesetzt und die Treppe auf der Landseite menschenleer. Hier muss er hinunter, um das Fitnessstudio zu erreichen. Bevor Bastian Kreuzer die erste Stufe nimmt, wendet er sich noch einmal frontal zum Meer, um einen letzten tiefen Atemzug zu genießen.
Doch kaum hat der Hauptkommissar eingeatmet, sieht er die Möwen. Viele Möwen. Sie scharen sich um einen einzigen Strandkorb. Fliegen auf und kommen wieder, hacken gierig mit ihren Schnäbeln im Sand.
Fast gegen seinen Willen geht Bastian zum Meer hinunter. Er will wissen, was diese Möwen dort anzieht. Polizist bleibt Polizist.
Als Bastian den Grund für die Aufregung der Möwen entdeckt, wendet er sich sofort ab. Das Erbrochene stinkt wie die Pest, und der Anblick der Bröckchen in den gierigen Möwenschnäbeln dreht ihm fast den Magen um. Trotzdem sieht der Kommissar sich kurz um. Es könnte ja sein, dass jemand hilfsbedürftig ist. Doch da ist niemand. Wer auch immer sich hier erleichtert hat, er ist nicht mehr da.
Bastian Kreuzer läuft die wenigen Schritte bis zur Wasserkante und bleibt dort stehen. Er beschließt spontan, das Fitnesstraining für heute sausen zu lassen und stattdessen einfach nur seinen Blick in die Weite zu richten und die Ruhe zu genießen, bevor die Hektik des Alltags nach ihm greifen kann. Noch ein paarmal durchatmen, die Salzluft inhalieren, den Wind auf der Haut spüren.
Der Kommissar setzt sich in den Sand und stützt die Hände hinter dem Rücken auf. Er legt den Kopf in den Nacken, schließt die Augen und konzentriert sich nur aufs Atmen. Rein, Luft anhalten und raus. Rein, Luft anhalten und raus. Großartig. Rein, Luft anhalten und raus.
Kreuzer spürt, wie er sich innerlich entspannt, wie er bald jedes Zeitgefühl verliert und vollkommen zur Ruhe kommt. Als er erheblich später doch widerstrebend auf die Uhr sieht, ist es schon fast halb sieben. Von der Promenade hallen jetzt Schritte und Stimmen herunter. Zuerst sind es für Kreuzer nur diffuse Geräusche, die kaum bis zu ihm vordringen, doch dann taucht er langsam aus seiner Trance auf und unterscheidet einzelne Wörter, versteht schließlich sogar einen ganzen Satz.
»Da liegt jemand«, ruft
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