Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
eine Frauenstimme.
»Wo denn?«, fragt ein Mann.
»Da vorn im Sand, gleich neben dem Strandkorb«, antwortet die Frau.
Meinen die etwa ihn? Bastian Kreuzer dreht sich um. Doch die beiden gestikulierenden Gestalten auf der Promenade zeigen nicht auf ihn, sondern nach Norden, dorthin, wo er noch nicht entlanggelaufen ist. Und jetzt sieht er es auch. Im Sand zwischen den Strandkörben liegt ein Mann, eingerollt wie ein Baby und völlig reglos. Bastian springt auf und läuft hinüber. Beim Näherkommen erkennt er fluchend, dass der Typ am Boden niemand anderer als dieser Quälgeist Fred Hübner ist, der ihnen in den letzten Jahren häufig genug in die Parade gefahren ist. Der Hauptkommissar beugt sich über den Liegenden. Der Typ atmet, zum Glück. Aber er stinkt nach Alkohol, und das nicht zu knapp.
Es gehört keine ausgeprägte Phantasie dazu, die Schnapsleiche und die Kotzlache dort hinten zusammenzubringen. Ohne lange nachzudenken, zückt Bastian Kreuzer sein Handy und ruft die Kollegen von der Wache an.
»Hilflose Person am Strand«, gibt er mitsamt einer Ortsangabe durch. »Ich warte hier auf euch, dann können wir den Kerl gemeinsam nach oben tragen und in den Wagen hieven. Ein paar Stunden Ausnüchterung in einer unserer Zellen werden ihm gut tun.«
Donnerstag, 23. Juni, 08.50 Uhr,
Kriminalkommissariat Westerland
Als Sven Winterberg mit erheblicher Verspätung im Büro eintrifft, warten Bastian Kreuzer und der Spurensicherungsexperte Leo Blum schon auf ihn.
»Tut mir leid, ich musste schnell noch zum Zahnarzt. Gestern Abend ist mir so eine blöde Füllung aus dem Backenzahn gefallen. Aber das wollt ihr gar nicht hören, stimmt’s?« Jetzt erst bemerkt Sven, wie angespannt die beiden anderen sind. »Hey, gibt’s Neuigkeiten?«
»Kann man so sagen«, brummt Bastian. »Fragt sich nur, ob du dich darüber freuen wirst.«
»Habt ihr doch noch irgendwelche Spuren am Strand gefunden?«
»Nee, das nun auch wieder nicht. Nur eine Schnapsleiche lag da rum.« Bastian grinst. »Ich bin auf dem Weg ins Fitnesscenter fast drüber gestolpert – und jetzt darfst du raten, wer es war.«
»Spuck’s schon aus. Ich steh nicht auf Quizfragen am frühen Morgen.«
»Es war unser alter Freund Fred Hübner. Zur Abwechslung mal wieder total besoffen. Der scheint sich gestern Abend seinen jährlichen Absturz genehmigt zu haben.«
»Immerhin mischt er sich diesmal nicht in unsere Ermittlungen ein«, wiegelt Sven ab. »War’s das schon?«
Bastian schüttelt den Kopf und nimmt ein Fax von seinem Schreibtisch. »Das hier ist interessanter. Marga Mönchingers Koffer ist tatsächlich aufgetaucht. Es ist derselbe, den Silja am Bahnhof gesehen hat.«
»Und wo hat man ihn gefunden?«
»In Niebüll. Er stand mutterseelenallein an einer Bushaltestelle vor dem Bahnhof.«
»Und das sagst du erst jetzt?«
»So sensationell ist der Fund nun auch wieder nicht. Dass die Frau nicht mehr auf Sylt ist, hat ja sowieso jeder angenommen. Fragt sich nur, warum sie ihren Koffer schon zum zweiten Mal einfach stehen lässt.«
»Was war denn drin?«
Bastian zuckt die Schultern. »Das Übliche. Klamotten, Dessous, Kosmetik. Kein Geld, kein Pass, keine Drogen.«
»Vielleicht ist der Mörder jetzt auf dem Festland unterwegs und hat sie sich dort geschnappt«, schlägt Sven lustlos vor.
»Vielleicht spinnst du gerade?«, gibt Bastian ebenso lustlos zurück. Dann lehnt er sich nach hinten und verschränkt die Arme vor der Brust. »Die ist nicht tot, die ist einfach nur untergetaucht. Trotzdem ist das hier ein Scheiß-Fall, ich sag’s euch. Nichts passt, nichts funktioniert. Also, Leo, du bist unsere letzte Hoffnung.«
Der Chef der Spurensicherung greift sich bedächtig mit beiden Händen in das lange Haar, das im Nacken zusammengebunden ist. Langsam zieht er das Haargummi heraus und platziert es neu.
»Hör mal Kumpel, ist ja nett, dass du uns bei deiner Morgentoilette zuschauen lässt, aber geht’s vielleicht etwas schneller?«, schnauzt Bastian.
»Du willst sowieso nicht hören, was ich zu sagen habe«, gibt Blum zurück. »Erfolgsmeldungen sehen anders aus.«
»Du hast das DNA-Ergebnis der Spermareste?«
Leo nickt und präzisiert: »Die Analyse beider Spermaspuren aus Sibylla Polenz’ Scheide liegt vor. Wir können’s aber nicht zuordnen. Nur eines steht fest: Hubert Mönchingers DNA ist das definitiv nicht.«
»Scheiße«, Bastian Kreuzer schlägt mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte. »Kann denn nicht mal was
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