Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
sich die ältere Dame, die hinter ihm steht, darüber, dass sie warten muss. Bei ihrem eigenen Gepäck lässt sie sich aber trotzdem Zeit. Als Silja endlich selbst auf dem Bahnsteig angekommen ist, klingelt ihr Handy. Zunächst will sie den Anruf gar nicht annehmen, dann schaut sie aber doch neugierig aufs Display. Dort erscheint das Foto des lachenden Bastian am Lister Strand, ein Relikt aus glücklicheren Tagen, das Silja nie gelöscht hat und das immer noch jeden Anruf des Kollegen anzeigt.
»Hallo Bastian.«
Obwohl sich Silja Mühe gibt, locker zu wirken, kann sie einen verkrampften Unterton nicht ganz verbergen. Aber Bastian hat heute kein Ohr dafür. Er klingt angespannt.
»Silja, wo bist du?«
»Gerade in Bremen angekommen. Ich nehme mir jetzt ein Taxi und fahre zu dem Autohaus, in dem dieser Smentek Lavro arbeitet.«
»Fahr lieber erst mal zu seiner Wohnung. Falls er dort sein sollte, was ich nicht ausschließen will, hast du die Überraschung voll auf deiner Seite.«
»Hatten wir das nicht anders besprochen?«
Bastian holt tief Luft und antwortet dann mit ernster Stimme: »Wir müssen reden, Silja. Kannst du dich irgendwo für einen Moment hinsetzen?«
»Ist was passiert?«
»Wir haben eine zweite Leiche. Ein zehnjähriges Mädchen ist vorhin am Strand auf eine tote Frau gestoßen.«
»Wieder in Westerland?« Silja lässt sich auf eine der Stahlbänke auf dem Bahnsteig fallen.
»Ganz genau. Ein Stückchen weiter nördlich als beim letzten Mord. Ansonsten war das Setting ähnlich. Die Frau saß im Strandkorb, sie ist erdrosselt worden, ebenso wie ihre Vorgängerin. Ihr Körper wurde von allen Fingerabdrücken befreit und komplett sauber gewaschen, diesmal allerdings nicht in Meerwasser. Ob Sperma in der Scheide ist, wissen wir noch nicht. Aber es gibt zwei Unterschiede. Erstens: Die Leiche war mit einem weißen Bademantel bekleidet. Wahrscheinlich ist sie darum auch erst am späten Morgen entdeckt worden, sie lehnte ganz natürlich in der Strandkorbecke und jeder, der zufällig vorbeikam, musste denken, sie ruhe sich nach einem frühen Bad aus. Erst als die Mieter des Strandkorbes auftauchten und die Frau sich nicht rührte, wurde klar, dass etwas nicht stimmte.«
Silja schluckt. Ein Serienmörder auf Sylt. Sie muss an die Kindesentführungen vor drei Jahren denken, an die Panik, die damals ausbrach, und an ihre eigene Angst. Doch dann reißt sie sich zusammen. »Und der zweite Unterschied?«
Bastian Kreuzer zögert kurz, bevor er leise antwortet. »Der Körper weist überall Verletzungen auf.«
»Was für Verletzungen?«
»Ganz feine Schnittwunden, wie von einer Rasierklinge.«
»O Gott. Wurden sie ihr vor dem Tod zugefügt?«
»Der Gerichtsmediziner sagt, ja.«
»Und wisst ihr schon, wer die Tote ist?«
»Tja, jetzt halt dich fest. Wir sind ziemlich sicher, dass es sich diesmal tatsächlich um Marga Mönchinger handelt. Zwar hat ihr Mann sie noch nicht identifiziert, aber ich halte das für eine Formsache. Die Tote ist schlank, jung, rothaarig und der Mönchinger, von der wir ja immerhin dieses Hochzeitsfoto besitzen, wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Dann kann ich mir den Besuch bei dem Bruder wahrscheinlich sparen, oder?«
»Auf keinen Fall. Es ist sogar noch wichtiger als bisher und ganz gut, dass du noch nicht bei ihm warst. Du musst jetzt allerdings komplett andere Fragen stellen. Es ist nämlich auch der Koffer der Mönchinger aufgetaucht. Du hattest da den richtigen Riecher.«
»Oh, danke. Ein Lob aus berufenem Munde.« Silja kann sich das Lächeln nicht verkneifen. Und sie ist sicher, dass Bastian es ihrer Stimme auch anhört.
Seine Antwort gibt ihr recht. »Bitte. Gern geschehen. Kann ich sonst noch was für dich tun?«
So gern Silja sich auch auf den Flirtton einlassen würde, sie nimmt sich zusammen und konzentriert sich auf den Fall.
»Ja, kannst du. Sag mir einfach, was ihr von dem Bruder wissen wollt.«
Bastian räuspert sich kurz, dann legt er los: »Also, zunächst fragst du ihn nach seinen Alibis. Für die letzte Nacht und die des ersten Mordes. Dann versuchst du möglichst viel über seine Beziehung zur Schwester rauszukriegen. Außerdem ist wichtig, wann er sie zum letzten Mal gesehen hat. Und dann müssen wir noch wissen, ob er in den letzten Tagen in Niebüll war. Die Sache mit dem Koffer gibt mir echt Rätsel auf.«
»Er stand da am Bahnhof einfach so herum?«
»Nicht am, sondern vor dem Bahnhof. An einer Bushaltestelle.«
»Ich verstehe das alles nicht.
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