Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Schnell wirft Bernstein ein Tuch über den Körper, zieht es hinauf bis zu dem geschwollenen Hals und bedeckt mit einem zweiten Tuch notdürftig das Ablaufbecken, die Wasserhähne und die restlichen Apparaturen am Kopf des Tisches. Normalerweise vermeiden sie es unbedingt, die Hinterbliebenen mit den profanen Details der postmortalen Körperöffnung zu konfrontieren, aber heute scheinen es alle außerordentlich eilig zu haben.
»Alles bereit?«, erkundigt sich Bastian Kreuzer von der Tür aus. Erst als Bernstein nickt, holt der Hauptkommissar Hubert Mönchinger in den Raum.
Der nähert sich mit vorsichtigen Schritten dem Seziertisch und bleibt schließlich in einigem Abstand stehen, als wolle er den Tod seiner Frau immer noch nicht wahrhaben. Mit einer behutsamen Geste fordert der Kommissar den Witwer zum Nähertreten auf.
»Sie müssen nur einen kurzen Blick auf Ihre Frau werfen, Herr Mönchinger. Sowie Sie uns ihre Identität bestätigt haben, sollten wir wieder gehen, damit Ihre Frau in Ihrer Erinnerung so weiterleben kann, wie Sie es möchten.«
Schon während Bastian die Worte ausspricht, kann er sehen, dass sie genau das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken. Hubert Mönchinger stürzt auf den Tisch zu und zieht mit einem kräftigen Ruck das Tuch von der Leiche. Entsetzt starrt er erst auf die Würgemale am Hals und dann auf die vielen Schnitte, die wie feine blaugraue Linien eines geheimen Musters die blasse Haut überziehen.
»Was ist da passiert? Was hat man meiner Frau angetan?«
Hubert Mönchingers Stimme ist schrill, er japst beim Reden nach Luft.
»Bitte beruhigen Sie sich.«
Vorsichtig nimmt Bastian Kreuzer den Witwer am Arm, um ihn möglichst schnell aus dem Raum zu führen. Aber Hubert Mönchinger krallt sich am Rand des Seziertisches fest.
»Ich lasse sie nicht allein. Ich will hier bleiben, hier bei ihr, bei meiner Frau. Ich will alles sehen, was man ihr angetan hat. Und dann will ich sehen, was dieser Kerl da mit ihrem Körper anstellt, ich will nicht, dass er ihr weh tut, dass er ihr noch mehr weh tut, als irgendein Monster es sowieso schon getan hat.«
»Herr Mönchinger, glauben Sie mir, es ist besser, wenn wir beide jetzt gehen«, beginnt Bastian Kreuzer von neuem.
»Besser? Was Sie nicht sagen! Für Sie ist es vielleicht besser. Für Sie und ihre unfähigen Kollegen, die es nicht geschafft haben, Marga zu beschützen. Und für diesen widerlichen Arzt hier ist es ganz bestimmt besser, wenn er mich endlich loswird. Der wartet doch nur darauf, meine Frau mit seinen dreckigen Fingern berühren zu dürfen. Alle wollen sie sie immer mit ihren dreckigen Fingern berühren. Aber das werde ich nicht zulassen, niemand soll Marga jemals wieder anfassen dürfen. Es ist mein Recht, das zu verbieten! Ich bin ihr Ehemann, immer noch.«
»Herr Mönchinger, Ihre Frau ist einer Gewalttat zum Opfer gefallen. Das Gesetz schreibt eine Obduktion zwingend vor«, erklärt Dr. Bernstein bestimmt.
»Seien Sie doch still, Sie elender Leichenfledderer. Sie haben keine Spur von Anstand im Leib, sonst hätten Sie einen ordentlichen Beruf gelernt. Einen, bei dem Sie nicht heimlich am ihren Opfern herumgrapschen dürfen!«
»Herr Mönchinger, wir gehen jetzt.«
Energisch nimmt Kreuzer den Witwer am Oberarm und zieht ihn unter Aufbietung aller Kräfte aus dem Raum. Mönchinger wehrt sich heftig, er schlägt nach dem Kommissar und versucht, sich an der Tür des Sezierraumes festzuhalten. Der Gerichtsmediziner beobachtet den ungleichen Kampf einige Sekunden lang, dann greift er zum Handy.
»Bernstein, Pathologie. Schicken Sie schnell einen Pfleger mit einer Beruhigungsspritze herunter. Hier dreht gerade ein Hinterbliebener durch.«
Donnerstag, 23. Juni, 12.50 Uhr,
Zwischen den Hedigen,
Westerland
Das Zimmer Marga Mönchingers war noch nie sehr ordentlich. Christa hat immer mal wieder einen neugierigen Blick hineingeworfen, wenn die Schwägerin die Tür öffnete, sich aber nie getraut, heimlich dort zu spionieren. Außerdem war der Raum fast immer abgeschlossen. Selbst nach Margas Verschwinden hat ein unklarer Impuls Christa tagelang davon abgehalten, den Raum zu betreten. Vielleicht war es die Angst, vom eigenen Bruder beim Schnüffeln erwischt zu werden. Vielleicht war aber auch die Erleichterung, die verhasste Schwägerin endlich los zu sein, so groß, dass Christa Mönchingers Neugier zunächst abflaute.
Doch jetzt ist alles anders.
Marga ist letzte Nacht tot am Strand gefunden worden.
Christa
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