Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
alles in die Theorie.«
»Mein Problem ist eher, dass die Mönchinger nicht nur bekleidet, sondern so überaus angemessen bekleidet war. In dem weißen Bademantel wirkte sie wie eine etwas verfrorene Schwimmerin, die es sich in ihrem Strandkorb bequem gemacht hat. Jeder musste denken, sie schläft, und sie demzufolge in Ruhe lassen.«
»Bis auf die Mieter des Strandkorbs, die aber in der Regel erst zwischen neun und elf auftauchen«, vervollständigt Winterberg den Satz des Kollegen.
»Ganz genau.« Bastian Kreuzer greift zum Besteck, als der Kellner den Teller mit der dampfenden Pizza vor ihm abstellt. »Aber was schließen wir daraus? Dass der Täter plötzlich doch Angst vor Entdeckung hatte? Dass er seiner Unverletzlichkeit nicht mehr sicher war?«
»Wir schließen daraus vor allem, dass er intelligent ist und sich nicht wie ein dummer Junge auf seine vermeintliche Unantastbarkeit verlässt. Er ist sich des Risikos bewusst, das er eingeht, wenn er zum zweiten Mal eine Leiche am selben Ort platziert. Er muss also sicherstellen, dass er nach der Tat einige Stunden Zeit hat, um vielleicht Spuren zu beseitigen.«
»Überzeugt mich nicht«, antwortet Bastian kauend. »Am Strand kann er sich nicht weiter aufhalten und überall sonst könnte er auch dann die Spuren beseitigen, wenn wir die Leiche schon gefunden hätten. Oder ist diesmal der Fundort auch der Tatort? Was sagt Dr. Bernstein?«
»Nein, sie wurde woanders getötet. Todeszeitpunkt war gegen zwei Uhr nachts. Anlieferung am Strand zwischen drei und halb vier. Da war sie dann schon sauber und angezogen. Und weil die Leichenstarre noch nicht eingesetzt hatte, konnte der Mörder den Körper auch bequem in eine möglichst natürlich wirkende Position bringen. Alle weiteren Untersuchungsergebnisse stehen noch aus. Aber gegen Abend will Bernstein den Bericht schreiben und auch gleich faxen.«
»Dann wissen wir mehr«, murmelt Bastian und säbelt ein neues Stück von seiner Pizza ab. »Auch wenn es mir generell widerstrebt, beim Essen zu denken, will ich mal nicht so sein und eine Ausnahme machen. Nach allen Für und Wider scheint mir doch mehr für einen Täter als für zwei verschiedene zu sprechen. Oder was meinst du?«
»Auf jeden Fall.« Verstohlen sieht Sven auf seine Uhr. »Gleich halb drei. Weiß Silja eigentlich, dass wir hier sind?«
»Ich hab’s ihr gesagt.«
»Dann redet ihr also wieder miteinander?«
»Wie man’s nimmt. Wir telefonieren immerhin schon wie zwei normale Menschen und gehen nicht sofort wie die Kampfhähne aufeinander los.«
»Klingt super. Willst du vielleicht allein mit ihr nach List zu dem Psychofritzen fahren?«
»Machst du jetzt hier auf Kuppler, oder was?«
»Du weißt doch, dass ich euch immer für ein ideales Paar gehalten habe. Außerdem könnte ich in der Zwischenzeit Hubert Mönchinger nach Hause bringen. Dann kann ich gleich sehen, wie seine Schwester auf die frohe Botschaft reagiert.«
»Super Idee, so machen wir’s. Willst du ein Stück?« Bastian Kreuzer schiebt dem Kollegen seinen halb geleerten Teller entgegen.
»Was ist denn mit dir los? Kein Appetit? Muss ich mir Sorgen machen? Oder bist du wegen Silja aufgeregter, als du zugeben willst?«
Mit energischer Geste zieht Bastian den Teller wieder zurück. »So weit kommt’s noch. Da ist man einmal höflich, und schon wird man behandelt wie ein Milchbubi. Glaub ja nicht, dass ich dir noch mal was anbiete.«
Doch als Silja zehn Minuten später das Restaurant betritt, überzieht eine leichte Röte Bastians Gesicht, die Sven deutlich verrät, dass sein Ermittlerinstinkt ihn im Fall des akut liebeskranken Kollegen nicht getrogen hat.
Donnerstag, 23. Juni, 14.57 Uhr,
Haus Dünenkante, List
Die Mittagssonne lässt das Dünengras glänzen. Schillernd wogt es im Licht, dient als ständig bewegte Untermalung für den Flug der Möwen und das Segeln der Schwalben. Kehre für Kehre schiebt sich der Wagen der Westerländer Kriminalpolizei durch die Hügel der Süderheide. Wie hingetupft und in angemessen weiter Entfernung stehen die behäbigen Backsteinhäuser auf den Kuppen und in den Mulden. Das Haus, zu dem Bastian Kreuzer und Silja Blanck unterwegs sind, thront ganz oben auf dem äußersten Hügelkamm. Bastian stößt einen anerkennenden Pfiff aus, als er sieht, dass der Psychofritze von hier aus einen kompletten Rundblick über das Sylter Watt nördlich von Keitum hat. Die gesamte Blidselbucht und mit ihr alle Austernbänke Sylts liegen dem Kerl quasi zu
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