Maenner und andere Katastrophen - Roman
mit einem Frisurensonderteil.
»Vierzig Frisuren ohne Risiko«, da musste doch was für mich dabei sein. Und richtig, Nummer neunundzwanzig war ein harmloser Pagenkopf in halber Halslänge, der mir gefiel. Katja lachte und nannte mich einen Feigling, aber mir erschien der Pagenkopf Veränderung genug.
Um acht machten wir uns in Katjas Auto durch den morgendlichen Berufsverkehr auf den Weg zu ihrem Stammfriseur.
Wir waren die ersten Kunden an diesem Tag.
»Wer möchte beim Maestro und wer bei Wanda?«, fragte uns die dauergewellte, gefährlich blondierte Empfangsdame.
Hier machte ich den zweiten Fehler des Tages - der erste war, dass ich überhaupt mitgekommen war -, indem ich Katja die Entscheidung überließ. So trat Wanda mit der Wunderschere in mein Leben. Sie war über einen Meter achtzig groß, trug dunkellila Lippenstift und Nagellack und hatte einen giftgrünen Mob auf dem Kopf.
Während Katja vom Maestro, einem feingliedrigen, soliden Mittvierziger, persönlich mit Komplimenten zu ihrem Platz geleitet wurde, schubste Wanda mich grob auf den Stuhl daneben.
»Haste ne bestimmte Vorstellung?«, fragte sie und blies eine himbeerrote Kaugummiblase aus ihrem Mund.
Ich zeigte ihr die risikolose Frisur aus der Zeitschrift. Wanda warf einen gleichgültigen Blick darauf und fuhr mit den lila Nägeln in meinem Haar herum.
»Der Schnitt bei den Haaren? Ich weiß nicht.«
»Ich aber«, sagte ich energisch. »Das geht ganz einfach. Nur rundherum zwanzig Zentimeter abschneiden, fertig.« Wenn ich's mir recht überlegte, konnte ich es gleich selber tun. Aber Wanda zuckte mit den Achseln und knallte mir ein fahrbares Waschbecken in den Nacken.
»Ganz wie du willst«, sagte sie lässig.
Während Wanda meine Haare wusch, sah ich hinüber zu Katja. Der Maestro hatte das Haarewaschen einer niederen Bediensteten überlassen und kam erst wieder, als das Haar bereits ausgekämmt war. Katja lächelte mir im Spiegel zu.
»Bleib cool«, sagte sie.
Und das mir! Hatte ich auch nur das Gesicht verzogen, während Wanda mein Haar beim Durchkämmen auf ungefähr die Hälfte reduziert hatte? Oder einen lauten Schrei ausgestoßen, als ich entdeckt hatte, dass der grüne Mob auf Wandas Kopf aus ihrem Haupthaar bestand? Nein, ich war völlig cool geblieben.
Um Katja zu beweisen, wie cool ich war, nahm ich ein Hochglanzmagazin von der Konsole und vertiefte mich in die neue Wintermode. Wie schön, dass Schokoladenbraun wieder modern war. Es kleidete mich ganz ausgezeichnet.
»Ich werd die Konturen unten 'n bisschen fransiger schneiden, damit's voller aussieht, okay?«, kündigte Wanda mit der Wunderschere an.
»Hauptsache, es sieht so aus wie auf dem Foto«, sagte ich cool.
Links und rechts fielen lange Strähnen wahrlich prachtvollen Blondhaares auf die Fliesen. Ich versuchte, ihnen keine Beachtung zu schenken und cool weiterzulesen. Trotzdem beschleunigte sich mein Puls kontinuierlich mit dem Schnipp-Schnipp von Wandas Wunderschere. Die schokoladenbraunen Wintermäntel verschwammen vor meinen Augen.
Aber erst ein erstickter Ausruf von Katja ließ mich aufschauen. Aus dem Spiegel sah mir eine nasse, strohfarbene Version von Wandas giftgrünem Mob entgegen, darunter ein kalkweißes Greisengesicht.
»Das nenne ich Mut zur Veränderung«, murmelte Katja, meinen Blick meidend.
Ich versuchte etwas zu antworten, aber es kam kein Ton aus meinem Mund.
Wanda mit der Wunderschere machte sich ungerührt daran, die verbliebenen, heilen Haarpartien zu zerstören. Ich sah hilfesuchend zu Katja hinüber, an deren gelungenem Bob der Maestro gerade den letzten Feinschnitt vornahm. Sie schluckte schuldbewusst.
»Das ist aber völlig anders als auf dem Foto«, sagte sie lahm zu Wanda und deutete auf mein Haar.
»Ich hasse Leute, die glauben, sie sähen wie ein Fotomodell aus, nur weil sie dieselbe Frisur haben«, antwortete Wanda und blies eine himbeerrote Kaugummiblase.
»Ja, aber das ist nicht mal annähernd die gleiche Frisur«, meinte Katja, nahm die Zeitung mit der risikolosen Frisur aus meinen schlaffen Händen und hielt sie dem Maestro unter die Nase. »Oder was meinen Sie?«
»Nicht annähernd«, gab der Maestro unumwunden zu. »Wanda hat einen völlig anderen Schnitt kreiert. Wir halten unser Team dazu an, spontan und intuitiv eine Frisur zu finden, die die verborgene Persönlichkeit des Kunden ans Tageslicht bringt.«
»Verborgene Persönlichkeit«, wiederholte Katja.
Im Spiegel sah ich ganz genau, wie ihre Mundwinkel zu zucken
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