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Maenner weinen nicht

Maenner weinen nicht

Titel: Maenner weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanz Loeffler
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Gene starr und unveränderbar sind. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Wie wir leben, was wir essen, welche persönlichen Erfahrungen wir machen, all das beeinflusst unsere Gene – und verändert sie ständig weiter.
    Trauriges Beispiel: Etwa jeder Zehnte, der am 11. September 2001 den Einsturz der Türme des World Trade Centers miterlebt hatte, erkrankte einige Zeit später an einer sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung. Auch bei den Soldaten im Afghanistan-Krieg oder bei Menschen, die verschüttet waren, hinterlassen die lebensbedrohlichen Ereignisse Spuren in der Psyche und können depressionsähnliche Symptome verursachen. Die Betroffenen können keine Freude mehr empfinden, es fällt ihnen schwer, Gefühle zuzulassen, sie sind unruhig und schlafen schlecht.
    Allerdings erkranken längst nicht alle Menschen, die ein verstörendes Ereignis wie 9/11 erlebt haben, an diesem depressionsähnlichen Zustand. Warum nicht? Eine Arbeitsgruppe des Münchner Max-Planck-Instituts um Florian Holsboer fand gemeinsam mit New Yorker Forschern heraus, dass zahlreiche Gene, die mit der Stressreaktion in Zusammenhang stehen, bei den Erkrankten anders reguliert waren als in einer Vergleichsgruppe. Offenbar hatte das Trauma selbst die Erbsubstanz so verändert, dass sie anfälliger für die Erkrankung wurden. »Traumatische Ereignisse verändern die Anzahl von Eiweißmolekülen im Gehirn, die Gene an- und abschalten, die für eine Depression mitverantwortlich gemacht werden«, sagt Holsboer. Dabei handelte es sich um Gene mit ganz unterschiedlichen Funktionen: Sie waren in die Stressregulierung eingebunden, leiteten Signale weiter oder beeinflussten Immunzellen. Das Erbgut des Menschen kann sich also durchaus verändern. So haben eineiige Zwillinge zwar ein identisches Erbgut, sind aber dennoch nicht gleich. Ob der eine Zwilling eine Depression bekommt, wenn das andere Geschwister erkrankt ist, hängt letztlich von seinen äußeren Lebensumständen ab.
    Für diese komplexen Zusammenhänge spricht auch, dass schon frühe traumatische Erfahrungen später vermehrt zu Depressionen führen. Dazu gehören Kindesmissbrauch oder der Verlust eines Elternteils. Holsboer und Kollegen stellten ein solches Stresserlebnis und dessen Folgen für die Psyche mit neugeborenen Mäusen nach, die sie über zehn Tage täglich drei Stunden von ihren Müttern trennten. Im Erbgut ließ sich dieser brutale Einschnitt genau nachvollziehen. »Die isolierten Mäusejungen wiesen eine erhöhte Aktivität der Gene auf, die zentrale Stresshormone kodieren, und hatten folglich mehr Kortisol, ein Stresshormon, im Blut«, erklärt Holsboer. Außerdem war ihre Erbsubstanz biochemisch neu verpackt. Monate später waren diese Veränderungen offenbar dafür verantwortlich, dass die traumatisierten Nager mit Stresssituationen schlechter zurechtkamen und antriebsärmer waren.
    Eines Tages, so die Hoffnung der Wissenschaftler, könnte man mit geeigneten Methoden und Biomarkern auch bei Menschen erkennen, wie anfällig sie für eine Traumastörung sind – und sie gleich nach einem Ereignis behandeln. »Zwischen Trauma und psychischer Störung liegt ein Zeitfenster von mehreren Monaten, das eine frühzeitige Behandlung möglich macht«, sagt Holsboer.
    Nicht immer ist die genetische Ausstattung des anderen so offensichtlich wie bei eineiigen Zwillingen. Wer genauer wissen will, welche Gene in ihm schlummern, der sollte nicht nur bei Eltern, Geschwistern und Großeltern nachforschen. Die Anlage für Gemütskrankheiten überspringt mitunter auch eine Generation. Gelegentlich gibt es eine Tante oder einen Onkel in der Familie, von dem man bisher wenig erfahren hat, vielleicht, weil er oder sie das Geheimnis einer schweren Depression hütete. Wollen Sie herausfinden, ob es das in Ihrer Familie gegeben hat, fragen Sie nach: Stichworte wie mehrmonatige Aufenthalte im »Sanatorium«, »Erholungskuren« für das strapazierte Gemüt, Nervenzusammenbrüche oder die Eigenschaft »besonders zart besaitet« könnten Hinweise darauf sein. Gab es unerklärliche Ängste, hartnäckige Schlafstörungen oder eine Neigung zur Melancholie, die sich vielleicht sogar mit euphorischen Zeiten abwechselte? Auch wenn Sie auf Ihre Fragen zunächst ein kategorisches »Nein« hören, sollten Sie sich nicht entmutigen lassen. Oft lohnt es sich, ein zweites Mal zu fragen. Vielleicht hat Ihr erstes Nachfragen Ihr Gegenüber dazu angeregt, noch einmal intensiver nachzudenken. Erneutes

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